»Die Zahl Ehrenamtlicher ist begrenzt, der Bedarf groß«
Interview: Gitta Düperthal
Sie fordern vom Magistrat der Stadt Frankfurt am Main, eine kommunale Stadtviertelküche im Arbeiterviertel Riederwald zu eröffnen. Warum sollte die Minderheitskoalition von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Volt sich dazu veranlasst sehen?
Die Stadt hat bei einer großen Konferenz in Mailand 2015 den »Milan Urban Food Policy Pact« unterschrieben und damit Verantwortung für die sozial-ökologische Transformation des Ernährungssystems übernommen. Diese Vereinbarung unterschrieben damals etwa hundert Stadtregierungen weltweit. Jetzt, zehn Jahre später, haben sich 330 Städte angeschlossen. Getan hat sich aber bis jetzt nichts. Im Gegenteil findet sich aktuell die reiche Finanzmetropole auf der Liste der 15 deutschen Städte mit der höchsten Armutsgefährdung. Betroffen sind 21 Prozent der Stadtbevölkerung, also jeder Fünfte.
Wie kommt es dazu?
Seit 2019 stiegen die Lebenshaltungskosten insgesamt um 37 Prozent. Mit dem Klimakollaps ist zu erwarten, dass die Preise für Essen, Energie und Miete weiterhin ansteigen und die im unteren Einkommenssegment angesiedelte Bevölkerung weiter unter Druck geraten wird. Für immer mehr Menschen wird es finanziell knapp. Immer mehr leben allein. Einsamkeit macht sich breit. Im Riederwald ist eine Stadtviertelküche wichtig für solidarische Nachbarschaft. Wir fordern daher: Ernährungsgerechtigkeit jetzt!
Die Ada-Kantine in Bockenheim bietet ehrenamtlich gesundes Essen für eine Spende oder kostenlos an. Warum kann man nicht weiterhin auf dieses Prinzip setzen?
Dass es diese Initiative im Stadtteil gibt, ist toll. Aber die Anzahl von Leuten, die solches Engagement ehrenamtlich stemmen können, ist begrenzt – und der Bedarf ist groß. Montags bis freitags muss es deshalb für den Riederwald professionell und verlässlich jeweils ein Mittag- und Abendessen, ein gesundes, leckeres Essen für 1,50 Euro, geben, für Kinder kostenfrei. Niemand soll hungrig nach Hause gehen müssen. Darüber hinaus können Gruppen ehrenamtlich mit besonderen Essensaktionen aktiv werden.
Sie haben dafür schon passende Räume gefunden?
Ja. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft ABG hat im Riederwald geeignete Räume. Einst war dort das Restaurant »Sportzentrale«, dann ein chinesisches Restaurant. Später zog ein »Reichsbürger«-Verein ein, was Anfang 2023 zu anhaltenden Protesten der Nachbarschaft führte, schließlich zu deren Auszug. Seit zweieinhalb Jahren stehen die Räume leer.
Wie im Fall von Schwimmbädern oder Stadtbibliotheken soll die Kommune dafür sorgen, dass es eine solche städtische Versorgung gibt, fordern Sie. Doch letztere werden vielerorts aktuell geschlossen, da sie als freiwillige Leistung leicht einzusparen sind. Kann das die Lösung sein?
In der BRD gibt es keine gesetzliche Grundlage für eine Versorgung mit Ernährung in Krisenzeiten. Angesichts der neuen Politik gegen Bürgergeldbezieherinnen und -bezieher halten wir es für unwahrscheinlich, dass sich das ändern lässt. In Polen gab es zahlreiche der in sozialistischen Zeiten entstandenen staatlich subventionierten sogenannten Milchbars, nur wenige sind heute davon noch übrig. Für die reiche Stadt Frankfurt am Main sollte aber die kommunale Versorgung der Ärmsten mit gesundem Essen kein Problem sein. Auch im Süden der Stadt tut sich was. Die Linke stellte im Ortsbeirat Niederrad, Oberrad und Sachsenhausen einen Prüfantrag an den Magistrat, ob und an welchen Standorten in den Stadtteilen die Einrichtung einer Stadtteilküche im städtischen Betrieb möglich ist.
Wie wollen Sie politisch Druck machen?
Unsere Initiative nimmt diese Idee mit einzelnen kollektiven Kochaktionen vorweg, um sie bekanntzumachen. Unter anderem unterstützen das der Ernährungsrat in Frankfurt am Main, das Netzwerk Gemeinschaftsküchen sowie der Fußballverein SG Riederwald – auch um den Zusammenhalt im Stadtteil zu fördern. Am 24. November werden wir als Bürger einen entsprechenden Antrag im Ortsbeirat für die Ostbezirke Fechenheim, Riederwald und Seckbach einbringen.
Alexis Passadakis ist bei ATTAC Frankfurt organisiert und aktiv in der Initiative für eine Stadtviertelküche im Frankfurter Riederwald
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