Zehn gegen Merz
Von Kristian Stemmler
Die Debatte über die »Stadtbild«-Äußerung von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) wird auch nach knapp zwei Wochen aufs neue angeheizt – und sorgt zunehmend für Verstimmung in der »schwarz-roten« Koalition. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Adis Ahmetovic hat am Montag gemeinsam mit neun Fraktionskollegen einen »Achtpunkteplan« mit dem Titel »Lebenswerte Innenstädte mit Zukunft« vorgelegt. Im Gegensatz zu Merz stellen die Abgeordneten in dem drei Seiten umfassenden Papier keinen Zusammenhang zwischen Problemen in den Städten und dem Thema Migration her. Die Gruppe forderte Merz auf, sich im Kanzleramt im Rahmen eines »Stadtbildgipfels« mit Vertretern von Kommunen und Politik zu treffen. Die CDU wies den Vorstoß postwendend zurück.
Es gebe »Herausforderungen« in den Städten, schreiben die zehn SPD-Abgeordneten, aber Merz benenne »das falsche Problem«. Schwierigkeiten im Stadtbild hätten »vielfältige Ursachen: soziale Missstände, Wohnungsnot, Verwahrlosung öffentlicher Räume, fehlende soziale Infrastruktur und unzureichende Prävention«. Wer die Debatte auf Asyl, Flucht und Migration verenge, verhindere Lösungen und verschleiere »die eigentlichen sozialen und ökonomischen Ursachen«. Die vom Kanzler ausgelöste Debatte spreche für manche »das wachsende Unbehagen im öffentlichen Raum« an, habe aber zugleich »durch unklare Formulierungen Ressentiments befeuert«.
In ihrem Achtpunkteplan schlagen die SPD-Politiker eine Fülle von Maßnahmen »für ein soziales, sicheres und solidarisches Stadtbild« vor. So heißt es da: »Wir wollen wieder Leben in die Zentren bringen – mit Wohnen, Coworking-Spaces, Pflege- und Gesundheitszentren sowie kurzen Wegen zwischen Arbeit, Freizeit und Alltag.« Um die Sicherheit in den Städten zu erhöhen, müsse auf »Prävention statt Ausgrenzung« gesetzt werden, etwa durch »mehr aufsuchende Sozialarbeit« und Drogenkonsumräume. Die Obdachlosigkeit müsse mit Programmen wie »Housing First«, bei denen Menschen zuerst eine Wohnung bereitgestellt wird und darauf alle weiteren Schritte folgen, bis 2030 beendet werden.
Unterstützung erhielt die Gruppe um Ahmetovic von SPD-Parlamentsgeschäftsführer Dirk Wiese. Das Papier sei »ein Debattenbeitrag«, der das Ziel habe, die »Diskussion zu versachlichen und nicht auf das Thema Migration zu verengen«, sagte Wiese gegenüber Bild. Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm (CDU), kritisierte das Vorgelegte. Es rede an den Themen vorbei, die die Menschen tatsächlich beschäftigten, sagte er dem Springer-Blatt.
Gegen ein Spitzentreffen zu dem Thema wandte sich der Parlamentsgeschäftsführer der Union, Steffen Bilger. Der Kanzler habe »die Problemlage klar benannt«, eine weitere Erörterung sei nicht nötig, so Bilger, ebenfalls gegenüber Bild. Für Gespräche mit der SPD über »eine noch konsequentere Innenpolitik« stehe die Union aber »gern jederzeit bereit«. Gegenüber dem Tagesspiegel kritisierte Bilger wiederum die Teilnahme von SPD-Fraktionsvize Wiebke Esdar an einer Demonstration in Bielefeld, die damit auch gegen die Merz-Äußerungen protestierte.
Verärgert gab sich der Fraktionschef der Union, Jens Spahn (CDU), darüber. »Opposition in der Regierung, das hat noch nie funktioniert, das geht auch nie gut im Ergebnis«, sagte der CDU-Politiker am Sonntag abend in der ARD-Sendung »Bericht aus Berlin«. Spahn wandte sich gegen einen »linken Empörungszirkus« und hielt seinem Parteichef die Stange. Merz habe etwa die Situation an Marktplätzen und Bahnhöfen angesprochen, »wo wir Verwahrlosung sehen«. Zudem gebe es Straßenzüge und Stadtviertel, »wo Juden, Schwule, Frauen sich nicht hintrauen, wo wir steigende Kriminalität haben«.
Grünen-Fraktionschef Felix Banaszak gab Merz und Spahn teilweise recht. Er schrieb in einem Beitrag in den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, es müsse anerkannt werden, dass Merz »eine breit getragene Wahrnehmung anspricht, mit der sich progressive Kräfte beschäftigen müssen«. Banaszak sei der Auffassung, »dass es mehr Polizei auf Straßen und an Bahnhöfen braucht«. Denn es gebe »die an Kleinstadtbahnhöfen herumlungernden Faschos und sturzbesoffen grölende Fußballfans in Zügen«. Er sprach von »kriminellen Gruppen auch aus migrantischen Familien, die am Freitag abend Leute abziehen oder Frauen belästigen«.
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Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (28. Oktober 2025 um 12:10 Uhr)Über die Ursachen und Verursacher der Verwüstungen und Verödungen unserer Innenstädte vernimmt man mal wieder wie üblich kein einziges Wort. Ebenfalls nicht über die skrupellosen und korrupten Mittäter aus Politik und Medien, die der Finanzmafia, den Betrügern, Spekulanten und Immobilienhaien, bereitwillig die Innenstädte über Jahrzehnte zum Fraß geradezu vor die Füße geworfen haben. Jedem kriminellen Hochstapler und größenwahnsinnigen Blender wurde von der Politik großzügig und willfährig der Boden bereitet zu dessen Selbstbedienung und Bereicherung auf Kosten der Steuerzahler. Die zahllosen Bauruinen, unzähligen Leerstände, exorbitanten Mieten und weitere gravierende Zerstörungen dieser Verbrecher à la Benko & Co bestimmten inzwischen in erschreckendem Maße und in anklagender Weise das skandalöse Erscheinungsbild so vieler Städte in diesem zu einer traurigen »Bananenrepublik« verkommenen Lande.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (28. Oktober 2025 um 05:54 Uhr)Die CDU übt sich auch hier reflexartig im Abbügeln. Ein Problem, das sie zwar jahrzehntelang geschaffen hat, ist kein Problem, wenn es ihr gerade nicht hilft, die Menschen an der Nase herumzuführen und gegeneinander auszuspielen. Und auch die Grünen machen fleißig mit. Schließlich müssen sie nachweisen, dass sie bald wieder Regierungsverantwortung übernehmen könnten. Man kann sicher sein: Im Abbügeln werden sie der CDU in nichts nachstehen.
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Leserbrief von Grit Rehbein (27. Oktober 2025 um 23:53 Uhr)Wenn Politiker mit solchen Medien Interviews über solche Themen geben, dann haben sie auch etwas davon – nur kein Niveau. Und wenn ein Fraktionsvorsitzender dann sagt, regieren mit einer Opposition hätte noch nie funktioniert, tut zweierlei: 1. Er verleugnet den deutschen Staat BRD und 2. er sagt, dass es aufs Ergebnis ankommt 3. wie das Ergebnis erreicht wird, ist egal: Jens Spahn (CDU): »Opposition in der Regierung, das hat noch nie funktioniert, das geht auch nie gut im Ergebnis.« Demokratie ist gleichgültig, die Hauptregierung erhält ein gewünschtes Ergebnis, es ist egal, mit welcher Seite es zustande kam. Und eine sachliche Diskussion ist überflüssig, wenn ein Kind hat, was es will, und nicht bekommt, was es erwartet. Alle Erwartungen sind nie gleich – und nichts verschieden: außer die subjektive Meinung über die anderer Stellen für Selbstverschönerung und -bestätigung.
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