H & M entsorgt Angestellte per Filialkarussell
Von Jessica Reisner
H & M schließt seinen ehemaligen Flagshipstore in der Nürnberger Karolinenstraße 45 Anfang 2026. Von der Ankündigung sind über 50, teils langjährige Angestellte betroffen. Das Perfide daran: Wenige Häuser weiter eröffnete die Kette in der Karolinenstraße 11 im vergangenen Jahr einen neuen Store. Dort können die Angestellten aus der Hausnummer 45 nach der Schließung aber nicht weiterarbeiten. Denn die Stellen sind längst besetzt.
Die Angestellten aus der Karolinenstraße 45 fürchten seit der Ankündigung der Filialschließung um ihre Existenz. Einige sollen seit Jahrzehnten dort arbeiten, haben Behinderungen oder Kinder zu versorgen. Sie fürchten, dass H & M sie mit dem Manöver kalt entsorgen und durch billigere und flexiblere Teilzeitkräfte ersetzen will.
Auch Julia Kaltenegger, die als Studentin selbst in der von der Schließung betroffenen Filiale arbeitete, erkennt im Vorgehen von H & M eine Strategie. Die Nürnberger SPD-Stadtratskandidatin hat aus Solidarität mit ihren ehemaligen Kolleginnen einen Instagram-Clip veröffentlicht, der über 1,5 Millionen Mal angesehen wurde. Aus diesem und weiteren Clips geht hervor, dass H & M den Angestellten im Sozialplan anbot, sich in Filialen in einem Umkreis von 80 Kilometern neu zu bewerben. Zu neuen Konditionen und mit einem möglichen Einkommensverlust von 20 Prozent.
Mittlerweile hat H & M die Verhandlungen für einen Sozialplan für gescheitert erklärt. Die Vorstellungen von Konzern und Betriebsrat lägen zu weit auseinander, erklärte H & M auf jW-Anfrage. Man setze nun auf ein Verfahren im Rahmen einer Einigungsstelle.
2021 hatte H & M in Düsseldorf bereits dieselbe Methode angewandt. Auch hier stand es den Angestellten der Filiale, die geschlossen werden sollte, frei, sich in der neuen zu bewerben. Einer Angestellten, die damals 27 Jahre für H & M tätig gewesen war, bot die Kette weniger als 5.000 Euro Abfindung an. Eine Entlassung in die Altersarmut.
Rechtliche Neuregelungen zum besseren Schutz Beschäftigter vor Filialkarussells, bei denen altgediente Angestellte zugunsten neuer Teilzeitkräfte fliegen, hat es seit 2021 nicht gegeben. Eine jW-Anfrage, ob entsprechende Forderungen von Verdi formuliert wurden oder angedacht sind, wollte die in Nürnberg zuständige Gewerkschaftssekretärin Jaana Hampel nicht beantworten.
Dabei scheint es nicht schwierig zu sein, Ansätze zu finden. H & M argumentiert mit betrieblichen Gründen. Nach Paragraph 1 Absatz 2 Kündigungsschutzgesetz sind dringende betriebliche Erfordernisse der Entlassungsgrund schlechthin. Allerdings wurde der Personalüberhang in Nürnberg mutmaßlich vorsätzlich erzeugt. Es bräuchte also eine Reform, die eine Prüfung unternehmerischer Entscheidungen vorsieht. Es ist ohnehin höchste Zeit, die heilige Kuh der unternehmerischen Freiheit zugunsten Lohnabhängiger zu filetieren.
Dazu könnten auch die Regelungen bei Betriebsübergängen um Konstrukte ergänzt werden, bei denen kein Eigentümerwechsel stattfindet. Die Fortführung der wirtschaftlichen Einheit unter Wahrung ihrer Identität ist schließlich ganz offensichtlich gegeben.
Der Neusser Rechtsanwalt Daniel Labrow, der 2021 den Düsseldorfer H-&-M-Fall begleitete, schlägt gegenüber jW zur besseren Absicherung Beschäftigter gesetzliche Mindestabfindungen vor. Auch eine Erweiterung der Sozialauswahl über eine einzelne Filiale hinaus könne vulnerable Personengruppen besser schützen.
Zu guter Letzt wäre zu prüfen, ob es sich um Union Busting handelt, also die Behinderung gewerkschaftlicher Organisierung und Betriebsratsarbeit. H & M sendet schließlich ein starkes Signal an die Gesamtbelegschaft. Nach einem solchen Beispiel dürfte es dauern, bis die Angestellten der neuen Filiale sich zu einer Betriebsratsgründung durchringen. Im für H & M »besten Fall« muss dann für sie, wenn ihre Filiale als nicht mehr wirtschaftlich bewertet wird, nicht einmal ein Sozialplan verhandelt werden.
In den Fußgängerzonen entscheiden die Kunden: Schon 2021 hatte H & M sich mit einem Freiwilligenprogramm zum Ausscheiden aus der Firma vor allem an Mitarbeiter mit Kindern gewandt. Braucht man solche Firmen?
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