Das letzte Wort
Von Peter Merg
Krise ist ja irgendwie immer, vor allem kulturell. Aber schlendert man dieser Tage durch die Frankfurter Messehallen, wird man das Gefühl nicht los, dass nicht Phantasie die Luft beseelt, wie es das diesjährige Motto will, sondern Verzweiflung. Schön bunt ist es hier noch immer, doch alles ist so teuer geworden. Papier, Druck, Vertrieb. Standmiete, Eintritt, Unterkunft. Die Käsebrezel kostet 5,50 Euro, der Pappmachéburger zwölf. Verlagsleute, die früher alle fünf Tage mitnahmen, reisen heute am Donnerstag ab.
Allzu laut mag da auch die Pressemitteilung der Buchmesse zum Halbzeitstand nicht jubeln: 118.500 Fachbesucher erwartete man bis Sonntag (2024: 115.000), immerhin knapp drei Prozent mehr. Kurz vor den unseligen Coronajahren waren es etwa 144.500, bei über 7.500 Ausstellern. Dieses Jahr sind es 4.350. Gegenüber vorigem Jahr eine Steigerung um ganze 50.
Wo diese schon einmal nicht stehen, ist die Halle 3.1. Dort sind »Literatur und Sachbuch« beheimatet, längst aber auch »Kalender«, »Touristik« und »Bildung«. Wer sich die Programme der großen Traditionshäuser C. H. Beck oder Suhrkamp anschauen möchte, wird hier ebenso fündig wie Neugierige, die erfahren wollen, was es mit dem »dritten Testament« auf sich hat oder mit den neuesten Methoden des Bundesamts für Kartographie und Geodäsie. Noch am Fachbesuchern vorbehaltenen Donnerstag ist hier kaum etwas los. Bei der FAZ erzählt deren Redakteur Reinhard Müller im Gespräch mit dem wie gewöhnlich etwas derangierten Feuilletonherausgeber Jürgen Kaube das hier schon tausendmal Gehörte: Offene Grenzen und leichte Einbürgerungen sind nicht im Interesse der Nation, wieso nicht mal nach Australien schauen, wo man Ausländer erst mal auf einer »KZ-artigen« (sic) Insel interniere? Anders als in vergangenen Jahren bekommt aber so gut wie jeder, der das hören mag, einen Sitzplatz. Die Anordnung der Stände ist luftig.
Denn hier stehen auch die unabhängigen Verlage, besser gesagt: was von ihnen übrig ist. Die klassischen Einmannbetriebe mit kleinen, doch anspruchsvollen, vor allem aber ungewöhnlichen Programmen sind zum Auslaufmodell geworden. Viele namhafte Unabhängige wie Jung und Jung oder Schöffling sind mittlerweile nur noch Imprints mittelgroßer Verlage. Oder gar eines anderen Imprints. Das geht natürlich zu Lasten dessen, was Susan Hawthorne mit dem suggestiven Begriff »Bibliodiversität« bezeichnet. »Nichtkonformistische Literatur« (Wolfram Weimer, ausgerechnet), oder zumindest inhaltlich oder formal weniger konventionelle, findet sich nicht bei den Konzernen.
Was sich dort findet, ist Sozialerbauungskitsch à la Caroline Wahl. Wenn sie am Sonnabend nachmittag signieren soll, wird es eng in der Frankfurter Festhalle. Nicht wenige der jungen Frauen, die sich hier die Beine in den Bauch stehen, um ein Autogramm von der Frau mit dem Glitzer im Gesicht zu erhaschen, bleiben anschließend, um sich abseits eine Lesung aus Anna Bennings »Götterlichtsaga« (Fischer Sauerländer) anzuhören. Eine junge Frau bandelt mit einem schönen Gott an. Stoff für drei Schinken. »Wir brauchen das ja, dass eine junge Protagonistin die Welt anzündet«, sagt die Moderatorin. Auf den Sofas ist die Stimmung gut. Sie sind gesponsert von IKEA, Werbung für das »Family«-Programm. Von Druckproblemen der Fischer-Verlagsgruppe ist nichts bekannt. Man gehört zum Holtzbrinck-Konzern.
Anders als beim etwa gleich großen Hanser-Verlag. Der erlebt gerade ein Desaster, wie es die Branche schon lange nicht mehr gesehen hat. Vor einigen Wochen jubelte ein Bekannter, er habe in unserem Neuköllner Stammbuchladen das letzte Exemplar von Dorothee Elmigers »Die Holländerinnen« erstanden. Der Roman sei erst in ein paar Wochen wieder lieferbar. Denkste. Die Favoritin hat am Montag den Deutschen Buchpreis abgeräumt, und der Verlag hofft, wenigstens das Weihnachtsgeschäft bedienen zu können. Der Preis wurde vor 20 Jahren begründet, um den Bucheinzelhandel zu fördern. Nun führt ein großer Versandantiquar den schmalen Band zu knapp 50 Euro.
Selbst eine Verlagsgruppe wie HarperCollins müsse bei der Nachdruckplanung »Tetris spielen«, sagte Herstellungsleiterin Magdalena Mau der dpa. Die Gründe seien: »Schließungen von Druckereien sowie Fachkräftemangel, kleinteiligere und vorsichtigere Auflagenplanung seitens der Verlage, geballte Produktionsvolumen hin zum Herbst- und Weihnachtsgeschäft.« Was sie ausspart: Der Internetversandhandel macht Kartonage profitabler als Druckpapier, Corona-Shutdowns kappten Lieferketten, die Russland-Sanktionen trieben die Papierpreise zusätzlich in die Höhe. Und die forcierte Verarmung durch Inflation und Reallohnverluste schlägt letztlich auf die Nachfrage durch, wenn auch spartenspezifisch. Konzernliteratur mit hohen Auflagen blockiert die letzten Druckkontingente.
Dass diese überhaupt noch Gewinne garantiert, verdankt sich der Vergenresierung des Lesens. Zwar hat sich selbst im lange in die alberne Unterscheidung von ernsthafter »E-« und trivialer »U-Literatur« vernarrten Deutschland mittlerweile herumgesprochen, dass auch Patricia Highsmith, Stephen King oder Joanna Russ ins höchste Regal gehören. Krimis werden heute selbstverständlich in der FAZ besprochen. Doch bleiben die New-Adult-Groschenromanciers bislang den Nachweis schuldig, eine neue Jane Austen hervorbringen zu können – so wie auch »Old Adult« (Andreas Maier) mit Nordseekrimis und Landlustästhetik nicht gerade auf Raymond-Chandler-Niveau operiert.
KI mag die blauen Blumen abmähen, wie der Kulturstaatsminister zur Messeeröffnung barmte. Aber wo nichts mehr wächst, kann auch nichts rasiert werden. Der große Schnitter ist auch hier die Profitlogik.
»Sozialismus oder Barbarei« hieß es doch. Βάρβαρος, unverständliches Gebrabbel. Es ist das Letzte, was wir lesen werden. Und es nicht einmal mehr bemerken.
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