Aufstand der Jugend
Von Bernard Schmid
Es ist aus für Madagaskars Präsidenten Andry Rajoelina. Nach wochenlangen Protesten vorwiegend junger Menschen hat das Militär am Dienstag die Macht übernommen. Die Verfassung sei suspendiert und ein Präsidentschaftsrat aus Angehörigen der Armee und Gendarmerie eingesetzt, sagte Oberst Michael Randrianirina, Kommandant der Spezialeinheit CAPSAT, laut dpa vor dem Präsidentenpalast in der Hauptstadt Antananarivo. »Wir ergreifen die Macht.« Die zivile Regierung bleibe in ihrer derzeitigen Zusammensetzung bestehen, versicherte er. Ein Oberster Gerichtshof für Reformen werde eingerichtet. Innerhalb von zwei Jahren soll ein Referendum abgehalten werden: »Wir werden einen Premierminister ernennen, der rasch eine Zivilregierung bilden wird«, so Randrianirina.
Am Montag abend hatte sich Rajoelina nochmals in einer auf Facebook übertragenen Rede an die Bevölkerung gewandt. Darin rief er zum Respekt der »verfassungsmäßigen Ordnung« auf und sagte, er halte sich an einem nicht näher bezeichneten »sicheren Ort« auf. Also offenkundig nicht in der Hauptstadt Antananarivo. Damit bestätigte er Berichte, die zuvor zuerst von französischen Sendern in Übersee verbreitet worden waren. Demnach soll er mit einer französischen Militärmaschine auf die zu Frankreich gehörende Insel La Réunion ausgeflogen worden sein. Am Montag versicherte Amtskollege Emmanuel Macron ihm nochmals explizit seine Unterstützung. Zu spät, wie sich nun herausstellt.
Auf der Rieseninsel im Osten Afrikas hatten Demonstrationen der »Generation Z« am 25. September begonnen, als Reaktion auf die unzuverlässige Wasser- und Stromversorgung in den Wohnvierteln, aber auch auf vorhergehende Aufstände in Asien wie in Indonesien und vor allem Nepal. Die UNO zählte mehr als 20 Tote durch Repressionen seitens der Einsatzkräfte. Am Sonnabend kam es allerdings zu einer Verbrüderung zwischen der Armeeeinheit CAPSAT und den jugendlichen Demonstranten. Rajoelina sprach darauf von Meuterei und einem Putschversuch – der offensichtlich am Ende geglückt ist. Ob die Putschisten die sozialen Forderungen der Demonstranten erfüllen werden oder eine neue Phase autokratischer Herrschaft folgt, ist bis dato unklar. Präsident Rajoelina selbst war ursprünglich durch einen Aufstand an die Macht gelangt.
Derzeit ist es neben Madagaskar vor allem Marokko, wo die Generation der 13- bis 30jährigen nach dem Vorbild vorhergehender Aufstände in Bewegung gekommen ist. Auch dort werden wie am anderen Ende des afrikanischen Kontinents eklatante Mängel in den öffentlichen Diensten beklagt, während die Eliten des Landes sich schamlos bereichern oder Milliardensummen in reinen Prestigeprojekten wie etwa dem Stadionbau für die FIFA-Fußballweltmeisterschaft 2030 versenkt werden.
Mit Madagaskar und Nepal verbindet die marokkanische Bewegung »Gen Z 212« auch die Kommunikationstechnologie, die für die Koordinierung der Kundgebungen eingesetzt wird: der vor allem bei Gamern beliebte Onlinedienst Discord. 220.000 Menschen haben sich in Marokko zum Mitdiskutieren angemeldet und stimmen allabendlich über die Fortsetzung der Aktionen ab. Am kommenden Sonnabend sollen die Proteste, die infolge der Ermahnung der Regierung durch den König Mohammed VI. am vorigen Freitag vorübergehend ausgesetzt worden waren, um die Reaktionen abzuwarten, in vielen Städten gleichzeitig wiederaufgenommen werden.
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