Gen Z trotzt der Monarchie
Von Jörg Tiedjen
Die sogenannten Generation Z hat die Nase voll – in Nepal, Madagaskar und auch in Marokko. Seit dem Wochenende gehen in dem nordafrikanischen Königreich Tausende Jugendliche auf die Straße, um gegen unerträgliche Lebensbedingungen zu demonstrieren. Was sie empört, sind insbesondere unhaltbare Zustände bei Bildung und Gesundheit sowie Perspektivlosigkeit – während zugleich Milliardenbeträge für Mondprojekte wie die Fußball-WM der Männer 2030 verschleudert werden und die soziale Ungleichheit stetig wächst. »657.000 Euro am Tag kostet König Mohammed VI. die Marokkaner, dessen persönlicher Berater Mounir Al-Majidi streicht ganze 120.000 im Monat ein – in einem Land, in dem die meisten noch nicht einmal über das Mindesteinkommen von 280 Euro verfügen«, heißt es in einem von etlichen Kommentaren im Internet.
Die landesweiten Proteste waren am Sonnabend nach einem anonymen Aufruf unter dem Schlagwort »GenZ212« auf dem Kurznachrichtendienst Discord gestartet worden und gingen auch am Dienstag weiter. Die marokkanischen Behörden reagierten sofort mit Verboten und Repressionen, fahnden aber bisher vergeblich nach den Urhebern. Die Nachrichtenseite Le Desk berichtete, dass Einsatzkräfte in der Hauptstadt Rabat und der Wirtschaftsmetropole Casablanca versucht hätten, jede Versammlung sofort zu zerschlagen. Auch zahlreiche Minderjährige seien festgenommen und am Dienstag dem Haftrichter vorgeführt worden. Im Internet kursierende Videoclips dokumentieren die brutale Gewalt der Polizei auch gegenüber Frauen und Vätern mit Kindern.
Die Marokkaner haben allen Grund, auf die Straße zu gehen. Das Gesundheitssystem liegt in dem nordafrikanischen Land seit langem am Boden. Nicht nur, dass Korruption allgegenwärtig ist und man oft nur mit Schmiergeld weiterkommt. Mehr noch riskieren Hilfsbedürftige in öffentlichen Kliniken wortwörtlich ihr Leben. Ähnlich sieht es bei Bildung aus. Während eine kleine Oberschicht ihren Nachwuchs für horrende Beträge auf Privatschulen schickt, bleiben der verarmten Masse nur Einrichtungen, in denen Eltern um das Wohlergehen ihrer Kinder fürchten müssen. Ganz allgemein haben Jugendliche in Marokko keine Perspektive – auch wenn sie in den Genuss einer Ausbildung gekommen sind. Ins Ausland gehen können legal aber nur Reiche.
Die Beteiligung an den Protesten ist derart groß, dass der frühere Premierminister Abdelilah Benkirane am Sonntag laut der Infoseite Yabiladi vor einer »Wiederkehr des arabischen Frühlings« warnte. Tatsächlich unterstützen die gleichen Kräfte die Demonstrationen, die schon 2011 im Rahmen der damaligen »Bewegung des 20. Februar« eine wenn auch marginale Verfassungsreform und Neuwahlen durchgesetzt hatten – aus denen Benkiranes islamistische PJD als Siegerin hervorging: die Vereinigte Linke (PSU), die marxistische Partei Annahj Addemocrati, die Menschenrechtsliga AMDH, die ehemals kommunistische PPS, aber auch die Islamisten der halblegalen Gemeinschaft »Al-Adl Wal-Ihssan«. Eine Schlüsselfigur der Demonstrationen von 2011, die feministische Aktivistin Ibtissam Lachgar, verbüßt zur Zeit eine Gefängnisstrafe – sie hatte auf einem Foto im Internet ein T-Shirt mit der Aufschrift »Gott ist lesbisch« getragen, was als Blasphemie gewertet wurde.
Die Proteste treffen Marokko in einem brisanten Moment innenpolitischer Schwäche: König Mohammed VI. ist gesundheitlich angeschlagen, und Kronprinz Hassan befindet sich noch in jugendlichem Alter. Im Juli enthüllte die Flucht eines hohen Geheimdienstbeamten nach Spanien Machtkämpfe hinter den Kulissen. Zwar zeigt sich die marokkanische Diplomatie gegenwärtig sicher, dass sie bei ihrem außenpolitischen Hauptthema, der illegalen Besetzung der Westsahara, punkten kann. So unterstützen mittlerweile mit den USA, Frankreich und Großbritannien drei ständige Weltsicherheitsratsmitglieder den marokkanischen »Autonomieplan« für das Gebiet, und diesen Mittwoch soll der EU-Rat ein neues Handelsabkommen mit Marokko absegnen, das auch die Westsahara einschließt. Doch was nützt deren Gewinn, wenn die Monarchie zugleich das eigene Land verliert.
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