»Was geschlossen wird, kommt auch nicht wieder«
Interview: Luca von Ludwig
Bezüglich der Klinikschließung in Zerbst haben Sie von »einem schweren Rückschlag für die Region« gesprochen. Was meinen Sie damit?
Die Grundversorgung in der Region Zerbst ist mit der Schließung der Klinik von Helios akut bedroht. Die nächsten Kliniken sind relativ weit entfernt in Burg und in Vogelsang (jeweils etwa eine halbe Stunde Autofahrt, jW). Da muss man erst mal hinkommen, weil wir ja gerade in der Fläche ein Problem mit dem öffentlichen Personennahverkehr haben. Und Menschen, die nicht mehr gut selbst mobil sein können, sind darauf angewiesen, mit dem ÖPNV zum Arzt zu kommen. Die Klinikschließung schädigt jetzt die Gesundheitsversorgung vor Ort.
Wieso ziehen sich die Versorger aus den ländlichen Regionen Sachsen-Anhalts zurück?
An der Stelle kann man erst einmal nur vermuten. Das eine ist selbstverständlich die Krankenhausreform, die seit einigen Jahren wie ein Damoklesschwert über allem schwebt und mit zugewiesenen Leistungsgruppen sowie Mindestfallzahlen arbeiten soll. Und das andere, was man bei den privaten Anbietern logischerweise immer im Blick hat, ist die fehlende Wirtschaftlichkeit. Wenn das Klinikum in der Region keinen Profit mehr für den Betreiber abwirft, ist das dann ein Grund, die Klinik dichtzumachen. Und wenn wir bundesweit schauen, ist das nicht die erste Klinik, die von Helios aktuell geschlossen wird. Gerade in ländlichen Regionen.
Was könnten die Landesregierung und der Bund aus Ihrer Sicht tun, um diesem Trend auf dem Land entgegenzuwirken?
Die wichtigste Forderung, die wir immer haben, ist, dass Gesundheitsversorgung in die öffentliche Hand gehört. Land und Kommunen müssen das in die Hand nehmen, müssen die Gesundheitsversorgung wohnortnah und erreichbar für alle Menschen zur Verfügung stellen, so dass wir eine Grundversorgung in der ländlichen Region gewährleisten können. Der andere Punkt ist, dass die Finanzierung gesichert sein muss. Das Land hat seit Jahren keine Finanzierung der Investitionskosten getätigt. Und die Fallpauschalen im Bund sind kein geeignetes Finanzierungssystem für die Krankenhäuser vor Ort, weil sie gezwungen werden, auf Gewinn zu arbeiten, um die fehlenden Investitionskosten zu refinanzieren.
Wie sieht die Versorgungslage in Sachsen-Anhalt insgesamt aus? Vor nicht allzu langer Zeit wurde ja erst die Klinik in Havelberg geschlossen.
Wir kennen das Problem schon aus Genthin und Havelberg. Und an den beiden Regionen kann man auch wirklich sehen: Das, was einmal geschlossen wird, kommt in der Regel auch nicht wieder. Die Einwohner dort kämpfen seit Jahren vergeblich um eine Verbesserung der Gesundheitsversorgung, die 24 Stunden am Tag für alle erreichbar ist. Notfälle passieren nicht nur zwischen acht und sechzehn Uhr.
Nun sind nicht nur die Patienten, sondern auch die Beschäftigten in den Kliniken von solchen Entscheidungen betroffen. Wie viele werden das in Zerbst in etwa sein?
In der Klinik in Zerbst arbeiten 270 Beschäftigte. Und nach meiner Kenntnis sind es vor allem Menschen, die in Zerbst leben und dort ihren Lebensmittelpunkt haben. Und dann natürlich im Zweifel zukünftig viel, viel weitere Arbeitswege auf sich nehmen müssen.
Hat man schon etwas aus den Gewerkschaften zum Thema gehört?
Aktuell noch nichts, weil die Information sehr kurzfristig an die Beschäftigten herangetragen wurde. Da findet eine Art »Salamitaktik« statt: Zunächst wurde, nur wenige Tage vorher, verkündet, dass Helios nur die Orthopädie Richtung Burg abgibt und der Rest in Zerbst bestehen bleiben soll. Am Montag haben die Mitarbeitenden dann die Hiobsbotschaft erhalten, dass das ganze Klinikum geschlossen werden soll.
Ist das üblich, dass solche weittragenden Entscheidungen auf solche Art kommuniziert werden?
Das hat man so auch schon aus anderen Bundesländern vernommen. Erst wird gar nicht kommuniziert und dann, wenn das Ergebnis der Überlegungen längst feststeht, wird es den Beschäftigten mitgeteilt. Auch das Ministerium ist nach meiner Kenntnis am Montag vor vollendete Tatsachen gestellt worden.
Nicole Anger ist gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Landtag von Sachsen-Anhalt
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