Schub trotz »Zollschock«
Von Jörg Kronauer
Die Chancen, dass die Prognose des Internationalen Währungsfonds (IWF) für das globale Wirtschaftswachstum in diesem Jahr zutrifft, haben sich ein wenig erhöht, seit US-Präsident Donald Trump von seinen jüngsten Zollphantasien wieder abzurücken scheint. Als der IWF auf seiner Jahrestagung, die er diese Woche gemeinsam mit der Weltbank in Washington abhält, seine aktuellen Vorhersagen für das laufende Jahr vorlegte, erhöhte er die Prognose für die Weltwirtschaft auf ein Plus von 3,2 Prozent – mehr als die drei Prozent, die er bislang für möglich gehalten hatte. Wieso? Weil der durch die Trumpschen Zölle verursachte »Handelsschock« bislang doch etwas »geringer als erwartet« ausgefallen sei, erläuterte IWF-Chefökonom Pierre-Olivier Gourinchas; die USA hätten sich mit den meisten Staaten auf Zollsätze zwischen zehn und 20 Prozent geeinigt, und es sei rascher als gedacht eine gewisse Beruhigung eingekehrt. Wenn der US-Präsident nicht wieder schräge Einfälle wie die 100-Prozent-Zölle auf alle Importe aus China aus der Tasche zieht, könnte es bei dem Wachstum von 3,2 Prozent bleiben.
Sicher ist das aber natürlich nicht. Gourinchas warnte auf der Jahrestagung in Washington, die Folgen von Handelskonflikten träten zuweilen verzögert auf; es könne eine ganze Weile dauern, »bis das vollständige Bild zutage tritt«. Und: Das globale Wachstum ist, klar, vom Wachstum der größten Volkswirtschaft abhängig; das sind in Dollar-Werten nach wie vor die USA. Deren Wachstum schätzt der IWF nicht mehr auf die 2,8 Prozent des Vorjahres, sondern nur noch auf zwei Prozent, und auch das ist nicht sicher. Gourinchas wies darauf hin, dass die Trump-Regierung gerade ausländische Arbeitskräfte in rauen Massen abschieben lässt. Das sei, rein ökonomisch gesehen, »ein weiterer negativer Schock« beim Angebot von Arbeitskraft, der aktuell zu dem »Zollschock« hinzukomme. Er belaste die US-Wirtschaft. Was aber das US-Wachstum hemme, sei »im allgemeinen nicht gut für den Rest der Welt«, hielt Gourinchas trocken fest.
Für besorgte Debatten sorgt auf der Jahrestagung von IWF und Weltbank denn auch die Frage, ob ein Platzen der KI-Blase befürchtet werden muss. Die Aktienkurse diverser Techkonzerne sind in den vergangenen Jahren, getrieben durch die Hoffnung auf immense KI-generierte Profite, gewaltig in die Höhe geschossen. Erfüllt die KI aber die Hoffnungen, die in sie gesetzt wurden, nicht, könnten die Aktien kollabieren und einen neuen Börsencrash auslösen. Gourinchas war bemüht, ein wenig abzuwiegeln: Sicherlich würden viele Anleger eine Menge Geld verlieren; ein KI-Crash aber werde nicht zwingend das Finanzsystem als ganzes erfassen. Eine spürbare Ungewissheit bleibt dennoch.
Gewissheit allerdings gibt es in zweierlei Hinsicht. Nummer eins: IWF-Chefin Kristalina Georgiewa wies auf der Jahrestagung darauf hin, dass KI bislang den reichen Ländern zugute kommt, den ärmeren kaum. Die Kluft zwischen ihnen wächst also; die Chancen für den ärmeren Teil der Welt, irgendwann vielleicht doch noch aufzuholen, verringern sich drastisch. Nummer zwei: Ob mit oder ohne KI – auf nationaler Ebene werden die Reichen ebenfalls immer reicher, die Armen immer ärmer. Der Wohlstand, erläuterte Chris-Oliver Schickentanz von der Capitell Vermögensverwaltung gegenüber der »Tagesschau«, konzentriere sich »zunehmend auf eine immer kleinere Bevölkerungsgruppe«, während die Mehrheit immer stärker unter der Krise leide. Die Schere zwischen Arm und Reich gehe immer weiter auseinander. Auch das ist ein globaler Trend.
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