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Aus: Ausgabe vom 14.10.2025, Seite 5 / Inland
»Sondervermögen«

Kreditfalle Militarisierung

Zinsen für Aufrüstung sollen von Schuldenbremse ausgenommen werden. Konjunktur schleppend, Sozialstaat kahlgeschlagen
Von Luca von Ludwig
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Wer auf Pump Panzer kauft, muss sich wohl Gedanken um die Finanzierung der Zinsen für die Milliardenkredite machen

Es ist ein Kreuz mit den Krediten: Man hat das Geld noch gar nicht richtig ausgegeben, schon muss man sich Gedanken um die Zinsen machen. Ärgerlich insbesondere dann, wenn man oberster Schatzmeister eines Staates ist, der zur Zeit schuldenfinanziert das größte Aufrüstungsprogramm seiner Geschichte fährt und einen entsprechend hohen Schuldendienst auf sich lädt. In exakt jener Zwickmühle befindet sich nun Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD). Wie das Handelsblatt am Montag berichtete, schwebt ihm aber schon eine Lösung vor: Warum die Zinsen nicht einfach von der Schuldenbremse ausnehmen und sich so finanzielle Handlungsfreiheit verschaffen?

Das Problem, vor dem das Finanzministerium steht, war absehbar. Theoretisch laufen die Kosten für die Aufrüstung, die jenseits von einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) liegen, unter dem Konstrukt der »Bereichsausnahme« an der Schuldenbremse vorbei. Besagte Ausnahme wird im selben Maß größer, wie die Ausgaben am BIP vorbeiziehen – ebenso aber auch die Zinsen, die für das Vorhaben fällig werden. Und die sind bislang nicht ausgenommen, müssen also aus dem normalen Staatshaushalt finanziert werden.

Klingbeils Vorschlag, der laut Handelsblatt bereits Gesprächsthema mit Kriegsminister Boris Pistorius (ebenfalls SPD) gewesen sein soll, sieht nun vor, die Zinsen ebenfalls unter die Ausnahmeregelung zu stellen. Dann könnten diese – so, wie es auch bei anderen Staatsschulden üblich ist – schlicht aus neuen Schulden finanziert werden. Das würde den Handlungsspielraum im Bundeshaushalt bedeutend erhöhen. Bereits in diesem Jahr beträgt die Zinslast 30 Milliarden Euro; bis 2029 soll sie auf 66 Milliarden klettern. Bislang müssen diese Kosten aus dem regulären Haushalt gedeckt werden.

Der seinerseits weist ohnehin erhebliche Defizite auf. Etwa 172 Milliarden Euro fehlen nach aktuellen Prognosen bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode 2029; allein in diesem Jahr sind es laut Handelsblatt 34 Milliarden. Bald sollen auch die Notkredite aus den Zeiten der Coronapandemie sowie, in etwas weiter entfernter Zukunft, auch die jüngsten »Sondervermögen« getilgt werden. Die Coronakredite, insgesamt 335 Milliarden Euro, sollen ab 2028 zurückgezahlt werden, die Sonderschulden für Militär und Infrastruktur haben noch bis 2037 Zeit.

Das Geld muss irgendwo eingespielt werden, im September hatten mehrere Wirtschaftsinstitute ihre Prognosen jedoch gesenkt; ein Aufschwung ist eher nicht in Sicht. Das Münchener Ifo-Institut sagt in seiner aktuellen Prognose für 2026 und 2027 Wachstumsraten von 1,3 respektive 1,6 Prozent voraus. Um die Unkosten der Aufrüstung auszugleichen, bräuchte es indes ein Wachstum von wenigstens zwei Prozent, meinte der Ökonom Dierk Hirschel von der Gewerkschaft Verdi im September im Magazin der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Man muss nicht lange rätseln, wo vor diesem Hintergrund Geld aufgetrieben werden soll: Schon seit Monaten wird gegen die angeblich ausufernde staatliche Daseinsfürsorge Stimmung gemacht, treffen soll die Sparaxt zuerst die Kranken und die Erwerbslosen.

Ohne Abbau des Sozialstaates ließen sich die immensen Summen für die Militarisierung nur durch »einen kräftigen selbsttragenden Aufschwung und eine umverteilende Steuerpolitik finanzieren«, führt Hirschel gegenüber jW weiter aus. »Aktuell lahmt aber die Konjunktur, und die Unionsparteien scheuen Reichensteuern wie der Teufel das Weihwasser.« Zwar seien grundsätzlich alle Maßnahmen zu begrüßen, die die »wirtschaftlich unsinnige« Schuldenbremse abschwächen. Dass dies nun vorrangig für Militärausgaben geschehe, sei jedoch ein »Treppenwitz der Geschichte«.

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