»Wir haben keine Auskunft erhalten«
Interview: Gitta Düperthal
Vertreter des Innenministeriums verhandelten zuletzt mit hochrangigen Vertretern der Taliban-Regierung in Kabul über Abschiebemodalitäten. Der Bayerische Flüchtlingsrat warnt: Wer mit dem afghanischen Regime verhandelt, erkennt es an. Was ist Ihnen dazu bekannt?
Bereits vor dem Abschiebeflug nach Afghanistan am 22. Juli führten Vertreter der Bundesregierung Gespräche mit den Taliban. Ziel war, dass aus Deutschland Abgeschobene dort aufgenommen werden. Afghanische Medien bestätigten das.
Geht es den Taliban um diplomatische Anerkennung?
Darüber berichten vor allem deutsche Medien. Die Taliban wollen den Botschaftsnamen ändern, ihre schwarz-weiße Flagge aufhängen. Genau wie das Regime ist diese international nicht anerkannt. Deutschland wäre das einzige Land in Europa, das den Taliban so Legitimation verleiht. Tatsächlich aber geht es um reale Gefahren. Die Taliban haben zwei Vertreter nach Deutschland geschickt. Einer von ihnen soll das afghanische Konsulat in Bonn leiten, bislang europaweite Kontakt- und Koordinationsstelle nach Afghanistan. Laut der Webseite ist es zur Zeit geschlossen. Der bisherige Generalkonsul und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die keinen Kontakt zum Taliban-Regime haben, kündigten aus Protest.
Für Geflüchtete aus Afghanistan und ihre Angehörigen dort stelle das eine Gefahr dar, warnen Sie. Wie groß ist das Problem?
Afghanische Geflüchtete müssen in den Konsulaten, ob in München oder Bonn, ihren Pass beantragen oder verlängern und ihre Identität klären. Meist betrifft das oppositionelle Aktivistinnen, Politiker oder Medienschaffende, die vor den Taliban flohen, weil sie sich dort für Minderheiten-, Frauenrechte und Meinungsfreiheit eingesetzt hatten. Dort lagern sensible Informationen und Dokumente. Die Taliban machen keinen Hehl daraus, dass sie nach der Scharia urteilen, was auch die Todesstrafe bedeuten kann. Es kann Leben kosten: das von Betroffenen in Deutschland oder auch von deren Angehörigen in Afghanistan. Das Kooperieren des deutschen Innenministeriums mit Taliban-Vertretern bedeutet aus unserer Sicht Verrat.
Was hat sich beim Bonner Konsulat seither getan?
Reporter eines TV-Senders filmten am 7. Oktober, wie mehrere, auch aus Berlin angereiste Taliban-Vertreter das Bonner Konsulatsgebäude sichtlich bemüht versteckt betraten und Koffer hineintrugen. Weil sie sich dabei von den Pressevertretern beobachtet fühlten, riefen sie die Polizei. Erstmalig sollen sie am 3. Oktober dort aufgetaucht sein. Es gibt Berichte, laut denen das Schloss der Konsulatstür aufgebrochen worden ist.
Was ist Ihnen aus afghanischen Quellen über die Interessen bekannt, die die Taliban verfolgen, wenn sie mit der Bundesregierung verhandeln?
Regimefreundliche Medien dort berichten, dass die Taliban nun von der deutschen Bundesregierung legitimiert und anerkannt seien. Die Taliban in Afghanistan nutzen es für ihre Propaganda. Wenn sie in Nachrichten oder auf Bildern mit deutschen Repräsentanten posieren, ist das für sie ein Erfolg; ein Zeichen zudem auch für Pakistan und den Iran, dass sie ähnlich vorgehen könnten. Für Menschen, die noch auf Aufnahme in Deutschland warten, die versuchen, Minderheiten zu organisieren oder Frauenrechte zu verteidigen, ist das gefährlich. Im übrigen gefährdet es auch die deutsche Bevölkerung, wenn Taliban in der Bundesrepublik offiziell auftreten.
Abgeschoben würden laut der Bundesregierung nach Afghanistan hauptsächlich Straftäter. Was wissen Sie darüber?
Wir haben keine Informationen, um welche Straftaten es sich genau handelt. Wir hatten die Bundesregierung, Kommunen und die Landesebene dazu angefragt, aber keine Auskunft erhalten. Presseberichten zufolge war es zuvor schon dazu gekommen, dass auch Menschen wegen Bagatelldelikten wie »Schwarzfahren« abgeschoben wurden. Wir gehen davon aus, dass man jetzt auch Afghanen abschieben will, die seit zehn Jahren in Deutschland leben.
Arif Abdullah Haidary ist Mitarbeiter beim Bayerischen Flüchtlingsrat
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