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Aus: Ausgabe vom 14.10.2025, Seite 4 / Inland
Deutsche Geheimdienste

Die Champions gegen die drei R

Propaganda im Geheimdienstgremium: Feuerwerk an Vorwürfen gegen Russland – wie üblich ohne Belege
Von Philip Tassev
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Heute schon eine Drohne gesichtet? BND-Chef Martin Jäger und MAD-Chefin Martina Rosenberg am Montag in Berlin

Der Krieg wird nicht auf dem Terrain gewonnen, sondern in den Köpfen. Das habe ihm ein ukrainischer »Frontoffizier« mitgegeben, erzählte BND-Chef Martin Jäger am Montag. Der Präsident des deutschen Auslandsgeheimdienstes war gemeinsam mit seinen Kollegen, den Chefs von Verfassungsschutz (VS) und Militärischem Abschirmdienst (MAD), zur jährlichen öffentlichen Sitzung des parlamentarischen Geheimdienstgremiums geladen. Und gekämpft wurde dort mit Eifer – um die Köpfe der deutschen Bevölkerung. Dafür war den versammelten Geheimdienstlern und Parlamentariern keine These zu steil und keine Behauptung zu kühn.

Ohne Widerspruch konnte BND-Chef Jäger freihändig teils schwerwiegende Vorwürfe Richtung Moskau schleudern, ohne auch nur den Hauch eines Beleges dafür anzuführen. Unsere Gegenwart sei geprägt von »wachsender Konfrontation«, die Grenze zwischen Frieden und Krieg verwische. Es herrsche ein »eisiger Friede, der punktuell jederzeit in heiße Konfrontation umschlagen kann«. Um die eigene Einflusszone nach Westen zu verschieben und das »wirtschaftlich vielfach überlegene Europa« zu »unterwerfen«, würden russische Dienste die NATO unterminieren und »Gesellschaften spalten«. Während er so selbst nach Kräften die Kriegsangst schürte, warf Jäger der russischen Führung genau das vor: »Europa soll, von Furcht und Handlungsstarre gelähmt, in die Selbstaufgabe getrieben werden.« Dann listete er die Methoden auf, derer sich Moskau angeblich bedient: Manipulation von Wahlen, Propaganda, Provokation, Desinformation, Einschüchterung, Spionage, Sabotage, Luftraumverletzungen, Auftragsmorde, Verfolgung von Oppositionellen im Ausland.

Das sei zwar laut Jäger alles nicht neu – und in der Tat wird die Bevölkerung hierzulande spätestens seit Februar 2022 täglich mit Geschichten dieses Zuschnitts in wechselnden Dosierungen versorgt. Allerdings, so der BND-Chef, sei aufgrund der Häufung von Vorfällen – die ohne jedes Zögern durchweg wie selbstverständlich Russland zugeschrieben werden – eine »neue Qualität der Konfrontation« erreicht. Markige Sprüche wie »Wir stehen schon heute im Feuer« dienten Jäger offensichtlich dazu, das Fehlen von konkretem Material zu kompensieren.

VS-Präsident Sinan Selen ging soweit, das schnell als haltlos entlarvte Märchen von den gezielten GPS-Störungen wieder aufzuwärmen. Am 31. August waren Berichte lanciert worden, wonach bei einem Flugzeug mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an Bord beim Landeanflug auf die bulgarische Stadt Plowdiw das GPS ausgefallen sei – alle Finger zeigten umgehend Richtung Moskau. Die ganze Geschichte fiel nach wenigen Tagen in sich zusammen. Das Flugverfolgungsportal »Flightradar24«, der Flughafendirektor von Plowdiw, der bulgarische Regierungschef – sie alle bestätigten, dass die Landung problemlos verlief und keine Anzeichen für eine anhaltende GPS-Störung vorlagen.

Dass die Geheimdienstchefs am Montag solche Tatarenmeldungen wiederholen konnten, ohne ausgelacht zu werden, liegt auch daran, dass von seiten des angeblichen »Kontrollgremiums« keine kritischen Nachfragen gestellt wurden. Die Parlamentarier fungierten vielmehr als Stichwortgeber und wollten lieber mehr über »die drei R« hören, wie es der Abgeordnete Daniel Baldy (SPD) ausdrückte: »Reichsbürger, Rechtsextremisten und Russland«.

Die Präsidentin des MAD, Martina Rosenberg, musste immerhin zugeben, dass nicht Russland, sondern »Rechtsextremismus« das »größte Problem in der Bundeswehr« ist. Mit Schulungen und dem entsprechenden Unterricht würde der Truppe aber »die Demokratie« nahegebracht, so dass die »Bundeswehr nicht nur wehrhaft, sondern auch wertebewusst« dastünde.

Die drei Dienstechefs bedankten sich brav bei »der Politik«, die ihnen soviel Unterstützung zukommen lassen würde »wie nie«, mahnten aber »erheblichen Nachsteuerungsbedarf« bei der Gesetzeslage an. Man müsse fragen, ob die Bestimmungen des BND-Gesetzes noch den Anforderungen genügen, so Jäger. Der mit der »Kontrolle« verbundene »Aufwand« sei zu hoch, beklagte er. Deshalb plädiere er für eine »professionellere und effizientere Kontrolle«, um Ressourcen für die »operative Arbeit« freizumachen. Denn: »Der BND muss in der Champions League spielen.«

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