Geben und Nehmen
Von Max Grigutsch
Allem Anschein zum Trotz – mehr als zwölf Jahre gemeinsames Regieren seit 2005 – ist die Beziehung von CDU/CSU und SPD »keine Liebesheirat«. Das betonte Unionsfraktionschef Jens Spahn am Dienstag im Deutschlandfunk. Statt auf Ehegelübde setzt die amtierende »schwarz-rote« Koalition für den »Herbst der Reformen« auf das altbewährte Quid pro quo. Ein Vorschlag kommt aus den Bundestagsreihen der Union: Steuern für Gutbetuchte im Austausch für Drangsalierung von Armen und Arbeitern. »Ich halte es persönlich für vertretbar, die sogenannte Reichensteuer zu erhöhen – aber nur, wenn im Gegenzug notwendige Sozialreformen umgesetzt werden«, sagte der CDU-Abgeordnete und Haushaltspolitiker Andreas Mattfeldt am Dienstag gegenüber Bild.
Welche »Sozialreformen« gemeint sind, hatte CSU-Chef Markus Söder am Montag dem Springer-Blatt erzählt: Bürgergeld und Leistungen für Asylsuchende stehen ganz oben auf der Streichliste. Zuvor hatte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) verkündet, der Sozialstaat sei in derzeitiger Form »nicht mehr finanzierbar«. Zur Geldbeschaffung hatte Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) Steuererhöhungen für Reiche zumindest angedeutet, war damit aber bereits auf Ablehnung gestoßen. »No way, no chance«, konstatierte Söder am Sonntag. Aber lockt der passende Deal, könnte die Chance womöglich doch kommen.
Dafür sind umfassende Zugeständnisse gefordert. Das Sozialsystem müsse »zukunftsfest« gemacht werden, so Mattfeldt, »damit die Mehrheit im Land merkt: Es geht voran«. Um herauszufinden, wie das geht, habe der CDU-Politiker mit denen gesprochen, die Schlimmes zu befürchten haben: Personen, die mehr als eine halbe Million Euro im Jahr verdienen. Stand jetzt greift die sogenannte Reichensteuer (Aufschlag von drei Prozent auf den Spitzensteuersatz von 42 Prozent) ab einem Jahreseinkommen von 555.652 Euro bei Eheleuten oder ab 277.826 Euro bei Einzelpersonen. Und die sollen Mattfeldt »ausnahmslos« gesagt haben: »Wir hätten kein Problem mit einer höheren Steuer, wenn echte Reformen folgen.«
Dieser mutmaßlich fiktive Wunsch ist ihm Befehl – auch der SPD? »Gut zu sehen, dass nun auch in der CDU/CSU eine differenzierte Debatte darüber beginnt, wie man breite Teile der Gesellschaft entlasten und sehr wenige sehr Reiche stärker belasten kann«, sagte deren parlamentarischer Geschäftsführer Dirk Wiese am Dienstag der Rheinischen Post. Im ARD-»Morgenmagazin« sprach Wiese der Union sein Vertrauen aus. Seine Partei verschließe sich den Reformen nicht, schließlich habe sie »den Willen, dass diese Koalition funktioniert«. Ein »Kahlschlag des Sozialstaates« werde mit der SPD aber nicht zu machen sein.
Auf Nachfrage erklärte ein Sprecher der Unionsfraktion allerdings, dass Mattfeldt als »einzelner Abgeordneter seine Gedanken und Ideen zu dem Thema geäußert« habe. Bis es also zum Tauschgeschäft kommt, könnten die von Spahn avisierten »Teambuildingmaßnahmen« unter den Koalitionären vonnöten sein. »Politik ist am Ende – wie heißt es so schön – People’s Business«, sagte der Fraktionschef am Dienstag. Nicht zu verwechseln mit Politik für die »People« – denn die bräuchten »ein klares Bekenntnis zu einem starken, gerechten und zukunftsfesten Sozialstaat« sowie stabil finanzierte Sozialversicherungen, wusste Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK, am Dienstag auf jW-Anfrage.
Reformen seien notwendig, aber Leistungskürzungen kämen für sie nicht in Frage, erklärte Bentele. Statt dessen müssten endlich die Einnahmen gestärkt werden: »Alle Erwerbstätigen, also auch Beamte und Abgeordnete, sollten solidarisch in die sozialen Sicherungssysteme einzahlen.«
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