Und er bleibt doch
Von Carlos Gomes
Mit unbeirrtem Blick in die Ferne und den Händen in den Manteltaschen strahlt der Sc0hweriner Lenin Ruhe und Besonnenheit aus. Die Bronzefigur ist längst mehr als ein bloßes Denkmal – seit Jahren steht sie im Zentrum einer erbitterten Debatte zwischen ihren Befürwortern und Gegnern. Mit der Entscheidung des Landesamts für Denkmalpflege, das Standbild unter Schutz zu stellen, zeichnet sich nun ein Ende des langen Streits um die Statue ab.
Das Werk des estnischen Bildhauers Jaak Soans ist die letzte in der DDR errichtete Leninstatue. Am 22. Juni 1985 wurde sie in der damaligen Leninallee – heute Hamburger Allee – feierlich enthüllt, mitten in einem Arbeiterviertel, geprägt von Plattenbauten und schnurgeraden Straßenachsen. Auf ihrem Sockel trägt sie die Inschrift »Das Dekret über den Boden«. Die Statue sollte nicht nur an Lenins berühmtes Dekret erinnern, sondern auch an die Enteignung der Großgrundbesitzer in der sowjetischen Besatzungszone nach 1945 – und zugleich die zentrale Rolle der Arbeiter im Industriegebiet Schwerin-Süd für die wirtschaftliche Entwicklung der Region würdigen.
Nach 1990 forderten einige politische Akteure und Verbände immer wieder den Abriss der Statue. Schließlich wurde die Auseinandersetzung mit der Denkmallandschaft aus der DDR-Zeit in den neuen Bundesländern meist mit Brechstange und Dynamit geführt. Dabei hatte der Einigungsvertrag zwischen BRD und DDR in Artikel 35 eindeutig festgehalten, dass das kulturelle Erbe des Arbeiter-und-Bauern-Staats »keinen Schaden« nehmen dürfe. Dennoch fielen zahlreiche Monumente, darunter auch die Leninstatuen in Berlin, Dresden, Eisleben, Riesa und anderen Orten, rein politischen Entscheidungen zum Opfer.
In Schwerin konnten sich jedoch die Befürworter einer Schleifung nie durchsetzen. Vielleicht spielte dabei auch der Standort des Denkmals im Stadtteil Großer Dreesch eine Rolle. Abseits der Stadtmitte störte der Held der Oktoberrevolution seine politischen Gegner offenbar deutlich weniger als in Städten, in denen er auf zentralen Plätzen gestanden hatte. Zudem organisierten die Unterstützer des Denkmals immer wieder Demonstrationen und Kundgebungen – etwa unter dem Motto »Lieben, lachen, Lenin lesen«, um deutlich zu machen, dass man die Beseitigung des Standbilds keinesfalls hinnehmen würde. So blieb Lenin schließlich erhalten.
Heute ist dieses Monument die einzige von DDR-Behörden errichtete Leninstatue, die noch am ursprünglichen Standort erhalten ist – ein Umstand, der vom Landesamt für Denkmalpflege in seiner Begründung für die Unterschutzstellung ausdrücklich betont wird: »Als letztes im öffentlichen Raum erhaltenes Denkmal seiner Art und aufgrund seiner besonderen Eigenart weist das Schweriner Lenindenkmal hohen historischen Zeugniswert auf. Es besitzt damit ein nationales Alleinstellungsmerkmal als Dokument für die Geschichte der DDR.«
Aus dem konservativen Spektrum wurden Stimmen laut, die diese Entscheidung scharf kritisierten und sogar für die Einlegung eines Widerspruchs durch die Stadt plädierten. Doch angesichts der Haltung von Oberbürgermeister Rico Badenschier (SPD) erscheint dies eher unwahrscheinlich. Auf der städtischen Webseite erklärt er, das Leninstandbild stelle infolge der Dezimierung politischer Kunst aus DDR-Zeiten im Schweriner Stadtraum ein wichtiges kulturelles und politisches Zeugnis der jüngeren deutschen Vergangenheit dar. Nur wenn es erhalten werde, bestehe weiterhin die Chance zu einer konstruktiven Auseinandersetzung mit der deutsch-deutschen Geschichte.
Der Schutz der Schweriner Leninstatue weckt die Hoffnung auf einen besonneneren Umgang mit den verbliebenen DDR-Denkmälern in der Bundesrepublik. Für die meisten Statuen, Büsten und Reliefs kommt ein solcher Wandel allerdings zu spät – sie sind längst im Zuge des großflächigen Denkmalsturms nach 1990 in staubigen Depots verschwunden oder zerstört worden. Doch immerhin: Der Lenin im Großen Dreesch bleibt!
Carlos Gomes: Lenin lebt. Seine Denkmäler in Deutschland. Bildband. Verlag 8. Mai, Berlin 2023, 152 Seiten, 21,90 Euro
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