Darauf einen Maraschino
Von Maximilian Schäffer
Der Bar Convent Berlin ist das führende internationale Massenbesäufnis für die Bar- und Getränkeindustrie. Barbesitzer, Bartender, Distributoren und Hersteller aus knapp 90 Ländern kommen jedes Jahr zur Messe in die Hauptstadt, um sich drei Tage lang brutalst die Kante zu geben. Schnaps, Likör, Wermut, Bier, Reiswein, in jeder Halle, in jedem Winkel gab es vom 6. bis 8. Oktober. Um hier zu überleben, empfiehlt sich eine sehr zielstrebige, professionelle Haltung oder zumindest eine ausgeklügelte Strategie der konsequent homöopathischen Dosierung. Am eigenen Leib erfährt dies, wer nach einer Stunde schon vor dem Stand kleiner Bourbonerzeuger deutlich wankt. Ein Habanero-Chili-Mango-Whiskey aus North Carolina also? Her damit, aber bitte wenig.
Wer hier ausstellt, will entweder Aufmerksamkeit für sein etabliertes Produkt oder erst mal überhaupt auf den deutschen Markt. Beide Ansätze waren gefühlt gleichberechtigt vertreten, vom Kleinstpanscher bis zum Multi. Die dominanten Schnapsriesen Pernod Ricard, Diageo und Beam Suntory schickten ihre großen und kleinen Marken aus aller Herren Länder ins Rennen: Johnnie Walker, Havana Club, DeKuyper. Ähnlich der Modebranche halten diese Großkonzerne Dutzende der Markenrechte und Mehrheitsanteile der beliebtesten Bargetränke der Welt. Mit großem Fokus auf Werbung, Sponsoring und maximalem Gewinn bei möglichst kostengünstiger Produktion. Wer oben schon stolperte, hat trotzdem richtig gelesen: Bereits seit 1993 hält Pernod Ricard 50 Prozent der Eigentumsanteile an Havana Club International, kümmert sich um Vertrieb und Marketing. Vergangenes Jahr entschied man sich zur Qualitätsanpassung des Massenprodukts: Der beliebte dreijährige Rum aus Kuba wurde also auf das deutsche Maß von 37,5 Prozent Alkohol verwässert.
Den Preis zu halten, mit Abstrichen bei der Qualität, fordert allerdings auch der Kunde, der sich inflationsbedingt das Saufen kaum noch leisten kann oder will. Der Trend in den Bars geht hin zur Billigmarke oder eben gleich zum Luxusprodukt. Das gepflegte Trinken etablierter Standards erodiert – wer will sich schon marginal besseres Zeug zum doppelten Preis hinter die Binde kippen? Jeden Vormittag folglich Goldkrone statt Asbach und zum Geburtstag dann einmal den guten Cognac. Ein Bier kostet vielerorts schon fünf Euro. Gentrifizierung also, täglich Fusel und höchst selten Edelstoff. Viele meditieren lieber, greifen bei der After-Work-Party zur Low- oder No-Alc-Alternative.
Seltsam also der Ansatz vieler kleiner Aussteller beim BCB, die fast immer ins mittlere Premiumsegment zielen. Bei 50 Euro für 700ml unbekannten Mezcal aus Mexiko muss der Kurze konservativ kalkuliert sechs Euro kosten. 40 Euro für eine Flasche Kräuterschnaps aus Italien? Ja gut, regional und so. Schmeckt durchschnittlich, so wie Averna in flach. Noch ein Bourbon-Whiskey, diesmal aus Arizona, zehn Jahre im Eichenfass, für 120 Euro? Schmeckt okay, ja, aber nicht für den Preis. Das sind Spirituosen für den gepflegten Hobbykeller eines Maschinenbauingenieurs mit entsprechendem Einkommen. Die schiere Anzahl von Ständen aus Mexiko auf der Messe ist beeindruckend. Wer trinkt den ganzen Agavenschnaps denn? Hat Mitteleuropa da wirklich so übermäßigen Bedarf? Immer noch macht jeder zweite Idiot auch einen Gin. Jaja, mit Wacholder, Kardamom und irgendeinem speziellen Kraut, vielleicht Sellerie. Auffälligerweise sind die Schotten kaum zu finden, Scotch ist teuer und begehrt genug.
Dafür ist ein Kroate sehr überzeugt und redselig: Den Maraschinolikör, ein pappsüßes Kirscherzeugnis, erfand seine geliebte Heimat einst. Über 40 Produzenten bei Zadar gab es vor dem Zweiten Weltkrieg, und dann kamen die Kommunisten – und aus war alles. Ob es in Jugoslawien noch Maraschino gab? Ja, aber nicht mehr so viel. Und ob der kroatische Maraschino besser ist als das weltberühmte Produkt aus Italien? Viel besser – und die eingelegten Kirschen erst. Beides stimmt nicht. Der kroatische Maraschino schmeckt nach Zucker und sonst nichts. Dafür ist er – endlich einmal – billiger als das Vorbild aus Torreglia, das ja eigentlich ein Abbild ist.
Nach fünf Stunden mischt sich im pantoprazolpräparierten Magen ein ganz eigener Cocktail. Man nehme zwei muffige chinesische Baijius zusammen mit drei duftigen französischen Absinths, dazu zwanzig Sorten Biomezcal und mindestens siebzehn patriotische Bourbons, einen 33jährigen Rum aus Antigua, Sekt aus Japan, fermentierten Johannisbeerknospenfusel aus der Ukraine, mafiösen Pflaumenschnaps aus Rumänien aus einer polnischen Kristallglasflasche, holländischen Pfirsichsahnelikör auf Haferbasis, ein Veltins, einen fünfzig Jahre alten Vintage-Jägermeister und das ganze abgerundet mit alkoholfreiem Campari-Ersatz und einem Espresso. Chin-chin!
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