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Aus: Ausgabe vom 14.10.2025, Seite 7 / Ausland
Ukraine-Krieg

Gefährliches Kalkül im Ukraine-Krieg

US-Präsident droht Moskau mit der Lieferung von »Tomahawk«-Marschflugkörpern an Kiew
Von Reinhard Lauterbach
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Cruise Missiles sind eine vom Gegner schwer einzuschätzende Waffe, deren Einsatz einen Gegenschlag provoziert (23.3.2003)

US-Präsident Donald Trump versucht, Russland zu einem Kriegsende in der Ukraine zu seinen Konditionen zu bewegen. Er könne der Ukraine »Tomahawk«-Marschflugkörper liefern, wenn Moskau nicht bereit sei, die Kampfhandlungen einzustellen, sagte Trump auf dem Weg zu den Huldigungsfeiern, die ihm am Montag in Israel anlässlich der Freilassung der Gefangenen aus Gaza bereitet wurden. Russland konkretisierte im Gegenzug seine Warnungen: Expräsident Dmitri Medwedew schrieb, wenn ein »Tomahawk« einmal abgeschossen sei, wisse niemand auf der russischen Seite, ob er konventionell oder nuklear bestückt sei. Entsprechend werde Moskau zu reagieren haben. Das war um einiges konkreter als die Aussage von Präsident Wladimir Putin von Anfang des Monats, wonach eine solche Lieferung die Beziehungen zwischen beiden Ländern »zerstören« würde.

Trump hatte am Wochenende zweimal mit dem ukrainischen Staatschef Wolodimir Selenskij telefoniert. Im Anschluss sagte dieser, er habe zugesichert, die »Tomahawks« im Fall ihrer Lieferung »nur gegen militärische Ziele« einzusetzen. Die meisten industriellen Objekte sind allerdings typische Dual-Use-Ziele, ebenso wie Verkehrs- und Energieinfrastruktur. Die »Tomahawks« haben je nach zu liefernder Version eine Reichweite von bis zu 2.500 Kilometern und könnten so Ziele im gesamten europäischen Teil Russlands und auch im Westen Sibiriens treffen.

Entscheidend ist, wie viele »Tomahawks« die USA gegebenenfalls an Kiew liefern würde. Die genaue Bestandszahl der schon in den 1980er Jahren entwickelten Marschflugkörper ist in den Vereinigten Staaten geheim. Von der US-Marine gekauft wurden Dokumenten des Pentagon nach etwa 9.000 Stück, von denen Medienberichten zufolge etwa 2.000 inzwischen verschossen worden sein sollen. Ein Großteil der Marschflugkörper ist zudem für den Start von Schiffen oder U-Booten aus konzipiert und dürfte deshalb für den Einsatz von ukrainischem Boden aus nicht in Frage kommen. Der eigentliche Engpass könnten jedoch die Startvorrichtungen sein. Sie sind nach russischen Angaben aus der Luft kaum von einem herkömmlichen Lkw zu unterscheiden, der mit einem handelsüblichen Container beladen ist. Wie viele dieser landgestützten Abschussvorrichtungen einsatzbereit sind, ist nicht öffentlich bekannt. Wie die Swobodnaja Pressa zuletzt schrieb, könnten die USA monatlich bis zu 200 Abschussrampen produzieren und 500 Marschflugkörper pro Lieferung senden. Die Rede von Produktionskapazitäten impliziert aber, dass aktuell wohl nicht so viele verfügbar sind.

Aus diesen Zahlen ergibt sich die offenbar erhebliche Sorge auf russischer Seite vor einer Lieferung der »Tomahawks« an die Ukraine. Es sei praktisch unmöglich, jedes potentielle Angriffsziel vor den Raketen zu schützen, schreiben russische Medien; zumindest erst einmal. Eine elektronische Ablenkung der Flugkörper sei sehr schwierig, weil die Steuerung nur in der Schlussphase des Anflugs über das Satellitensystem GPS erfolge. Über weite Strecken der Flugbahn vergleiche der »Tomahawk« aufgrund interner Rechner Landschaftsbilder mit vorinstallierten Datenbanken. Als problematisch wird auch genannt, dass der »Tomahawk« über den größten Teil seines Flugs hinweg in niedrigen Höhen von etwa 20 Metern unterwegs und deshalb von herkömmlichen Radaren kaum zu entdecken sei.

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