Symbolfigur nicht dabei
Von Wiebke Diehl
Insgesamt 1.966 Palästinenser lässt Israel frei. Nachdem die 20 lebenden israelischen Geiseln von der Hamas Montag morgen an das Internationale Komitee vom Roten Kreuz übergeben worden waren, verließen am Mittag die ersten Busse das israelische Ofer-Gefängnis im besetzten Westjordanland. Kurz darauf starteten auch im Negev-Gefängnis Busse in Richtung Gazastreifen. Von den 250 zu lebenslangen Haftstrafen Verurteilten sind über 150 ins Exil nach Ägypten geschickt worden, 88 werden ins besetzte Westjordanland und acht nach Gaza entlassen. Der bewaffnete Arm der Hamas kündigt an, noch am Montag die Leichen von vier israelischen Gefangenen zu übergeben. Weitere Einzelheiten wurden zunächst nicht genannt. Insgesamt soll es noch 28 Leichen im Gazastreifen geben.
Die israelische Regierung hatte den Palästinensern im Vorfeld jegliche Freudenfeiern für die fast 2.000 zu entlassenden Häftlinge untersagt und Flugblätter verteilt, in denen bei »Zuwiderhandlung« mit Verhaftung gedroht wird. Nach Angaben eines Anwalts des Wadi-Hilweh-Informationszentrums in Jerusalem wurden die Familien der Gefangenen vorgeladen und bedroht. Während in Israel große Feiern zu Ehren der zurückgekehrten Israelis stattfanden, beschossen Soldaten am Montag vor dem Ofer-Gefängnis wartende Zivilisten, darunter auch Journalisten, mit Tränengas, wie Al-Dschasira berichtete.

Die Freilassung von mehreren prominenten Gefangenen, wie von den palästinensischen Verhandlern in ihrer Liste gefordert, hatte Israel am Wochenende verweigert, darunter die beiden Ärzte Hussam Abu Safija und Marwan Al-Hams. Abu Safija, Arzt und Direktor des Kamal-Adwan-Krankenhauses in Beit Lahia im Norden Gazas, war im Dezember 2024 von israelischen Soldaten entführt worden. Ohne dass Beweise vorgelegt worden wären, wirft ihm Israel vor, Mitglied der Hamas zu sein. Er sitzt im Gefangenenlager Sde Teiman ein, das für Folter, darunter auch sexuelle Gewalt, und die Tötung von Gefangenen bekannt ist. Abu Safijas Familie gibt an, ihm werde nicht ausreichend Nahrung zur Verfügung gestellt, zudem sei er schwer gefoltert und misshandelt worden. Notwendige medizinische Hilfe werde ihm verweigert. Nach Angaben seines Anwalts hat sich sein Gewicht seit der Inhaftierung von 100 auf 60 Kilogramm reduziert. Mit Abu Safija wurden Dutzende andere medizinische Angestellte im Kamal-Adwan-Krankenhaus im Gazastreifen festgenommen und zahlreiche Menschen hingerichtet.
Marwan Al-Hams, Direktor des Abu-Joussef-Al-Najjar-Krankenhauses in Rafah, wurde im Juli von einer israelischen Undercover-Einheit entführt; während der »Festnahme« wurde auf ihn geschossen. Hams und seine Tochter Rasnim, eine Krankenschwester, werden im Gefängnis in Aschkelon festgehalten. Nach Angaben von Middle East Eye werden mindestens 28 Ärzte aus dem Gazastreifen in israelischen Gefängnissen und Gefangenenlagern festgehalten. Laut dem palästinensischen Gesundheitsministerium sind in den vergangenen zwei Jahren mindestens 1.581 Mitarbeiter des Gesundheitswesens in Gaza getötet worden, was im Durchschnitt zwei pro Tag sind.

Auch der Fatah-Führer Marwan Barghuthi, der als Symbolfigur der zweiten Intifada gilt, ist nicht unter den freigelassenen palästinensischen Gefangenen. Zudem scheinen die Namen von Ahmad Saadat, dem Generalsekretär der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), und von den hochrangigen Hamas-Mitgliedern Ibrahim Hamed, Abbas Al-Sajed und Hassan Salameh auf der Liste zu fehlen.
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