Kiew fordert »Tomahawks«
Von Reinhard Lauterbach
In der Ukraine hat sich die Kriegführung in den vergangenen Tagen auf Luftangriffe gegen Kraftwerke und Trafostationen auf beiden Seiten der Front verlagert. Russische Drohnen und Raketen schlagen praktisch jede Nacht in Stromversorgungseinrichtungen auf ukrainischer Seite ein. Besonders betroffen ist das Gebiet östlich des Dnipro, vor allem in den nordukrainischen Regionen Sumi und Tschernigiw. Am Dienstag wurde die Stadt Priluki angegriffen und war offenbar samt ihrer Umgebung für Stunden vollständig von der Stromversorgung abgeschnitten.
Ukrainische Stellen meldeten, es seien 60.000 Haushalte ohne Strom, die Stadt hat aber nur etwas mehr als 50.000 Einwohner. Angriffe gab es auch auf Poltawa im Osten sowie Kriwij Rig, das westlich des Dnipro liegt. Angesichts der Angriffe bat die ukrainische Energieministerin bei einem Treffen mit Botschaftern der G7-Staaten flehentlich um weitere Luftabwehrmittel. Es dürften auch gern gebrauchte sein, zitierten ukrainische Medien die Ministerin am Mittwoch. Das Problem ist, dass der Westen so viele funktionsfähige Systeme, wie die Ukraine bräuchte, gar nicht mehr hat und diese kurzfristig nicht zu beschaffen sind.
Auch die Ukraine hat ihre Drohnenangriffe auf industrielle und energiewirtschaftliche Ziele in Russland intensiviert. Praktisch jeden Tag wird über Einschläge im grenznahen Gebiet Belgorod berichtet. Eine Drohne schlug in der Nacht zu Dienstag in einen Kühlturm des russischen AKW Nowoworonesch ein, richtete aber angeblich keinen größeren Schaden an. Am Montag waren nach russischen Medienberichten unbekannte Drohnen über der westsibirischen Ölstadt Tjumen gesichtet worden. Sie wurden demnach abgeschossen, ohne Schaden an der großen Raffinerie der Stadt anzurichten. Dort werden jährlich acht Millionen Tonnen Rohöl zu Treibstoff verarbeitet. Angesichts offenkundiger Probleme bei der Drohnenabwehr forderten Bewohner der Stadt sogar schon, Sturmgewehre ausgehändigt zu bekommen, um die Drohnen selbst abschießen zu können. Tjumen liegt etwa 2.000 Kilometer von der Frontlinie in der Ukraine entfernt. Mit so weitreichenden Drohnen hat die Ukraine Russland noch nie angegriffen.
In dieser Situation rätselt die Ukraine, ob US-Präsident Donald Trump der Bitte seines Kiewer Kollegen Wolodimir Selenskij nachkommt und der Ukraine Marschflugkörper des Typs »Tomahawk« überlässt. Trump hatte sich dazu Anfang der Woche betont unklar geäußert: Er habe die Entscheidung »praktisch schon getroffen«. Am Mittwoch verlautete er dann jedoch, er wolle den Krieg nicht eskalieren. Aus diesem Grund wolle er vorab wissen, worauf Kiew die Marschflugkörper abschießen werde. Theoretisch können dies je nach gelieferter Version Ziele in bis zu 2.500 Kilometern Entfernung vom Abschussort sein, also auch Moskau und St. Petersburg.
Russland hat bereits erklärt, eine Lieferung von »Tomahawks« an Kiew würde bedeuten, dass die USA direkt in den Krieg eingriffen. Denn die Raketen könnten nur von US-Spezialisten bedient und eingerichtet werden. Russische Medien zitieren in den vergangenen Tagen verstärkt Militärexperten, wonach die »Tomahawks« nicht unverwundbar seien: Sie flögen nur mit Unterschallgeschwindigkeit, und Russland besitze inzwischen zwei Generationen moderner Abwehrraketen (S-400 und S-500), die die US-Waffen vernichten könnten.
Eine andere Frage ist, wie viele der Flugkörper die USA erübrigen könnten. Nach offiziellen Haushaltsunterlagen sind seit der Entwicklung des »Tomahawk« in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts knapp 9.000 Stück für die US-Armee beschafft worden. Etwa 2.000 davon sollen bei den diversen Kriegen der Vereinigten Staaten eingesetzt worden sein. Ein weiterer Punkt ist, wovon die Marschflugkörper verschossen werden sollen. Sie sind hauptsächlich für den Start von Schiffen oder U-Booten aus vorgesehen. Beides hat die Ukraine selbst praktisch nicht. Eine für den Abschuss von Land aus vorgesehene Version wollen die USA jedoch ab 2026 in Deutschland stationieren.
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