Geklautes Geld als Sicherheit
Von Lucas Zeise
Wie kann man das viele Geld, das man dem Zugriff des Eigentümers, dem russischen Staat, in einem Coup im Februar 2022 entzogen hatte, effektiv für eigene Zwecke nutzen? Das war die Frage, deren Beantwortung die Regierungschefs der EU und einiger Randstaaten wie Großbritannien am Mittwoch in Kopenhagen zusammenführte. Es geht dabei um etwa 185 Milliarden Euro. Sie wurden »eingefroren«. Das Geld, damals vor allem in Form von Staatsanleihen, lagert, mittlerweile zum größten Teil mit Zinsen getilgt (zurückgezahlt), bei der Brüsseler Verrechnungsgesellschaft Euroclear auf Verrechnungskonten.
Die aufgelaufenen Zinsen sind bereits nach einem Beschluss der G7 von den USA, Kanada, Japan, Britannien und der EU als Sicherheiten verwendet worden, um der Ukraine Großkredite im Gesamtvolumen von 45 Milliarden Euro zu gewähren. Diesem Muster folgt nun auch der Plan, den die EU-Kommission dem informell zusammengetretenen »Europäischen Rat« vorstellte. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen war sich sicher, dass man »einen soliden rechtlichen Weg« dafür gefunden habe, indem man das Vermögen Russlands nicht einziehe, sondern als »Sicherheit« für einen zinslosen Kredit an die Ukraine in Höhe von 140 Milliarden Euro verwende, den die Ukraine nur zurückzahlen müsse, wenn Russland nach dem Krieg Reparationen zahle.
Das ist eine etwas eigenwillige Art, etwas als »Sicherheit« für einen Kredit herzunehmen, was man dem Kriegsgegner gestohlen oder geraubt hat. Niemand in der Runde bestritt ernsthaft, dass das Geld immer noch Russland gehört. Es soll auch nicht »konfisziert« werden, sondern nur als Pfand für den Großkredit an die Ukraine dienen. Der belgische Regierungschef Bart de Wever hatte Bedenken, weil das »eingefrorene« Geld in Belgien liegt. Der französische Präsident Emmanuel Macron hob sorgenvoll hervor, »wenn Vermögen eingefroren werden, achten wir das internationale Recht«, was hier ganz offensichtlich nicht der Fall ist. Die versammelten EU-Regierungschefs waren dennoch überwiegend einig, dass so vorgegangen werden soll. Eine Entscheidung aber wurde noch einmal vertagt.
Der Kredit an die Ukraine soll nach den Vorstellungen der Kommission mit 60 Milliarden Euro die Haushaltslöcher des Landes in den beiden kommenden Jahren stopfen. Für den Rest von 80 Milliarden Euro soll die Ukraine Waffen in Europa kaufen. Bundeskanzler Friedrich Merz hatte in der Vorwoche in einem Beitrag in der Financial Times den forschen Plan von der Leyens befürwortet, dass Russland bezahlen muss, will es die geraubten Guthaben wieder erhalten. Weil niemand erwartet, dass Russland die gewünschten Reparationszahlungen irgendwann einmal leistet, die Rückzahlung des zinslosen Kredits durch die Ukraine also ausbleibt, müssen die EU-Mitgliedstaaten sich bequemen, dafür eine Garantie für den entsprechenden Ausfall bereitzustellen. Für Deutschland als größtem EU-Land wäre das die Kleinigkeit von 35 Milliarden Euro.
Unser Autor ist Finanzjournalist und Publizist. Er lebt in Aachen.
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