»Entzückend, Baby. Isses wahr?«
Von Marco Gottwalts
Die Grabstätte von Peter Kuiper ist schwer zu finden. Sie liegt auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin-Schöneberg rechts vom Hauptweg und ist erkennbar vernachlässigt. Peter Kuiper war in den siebziger und achtziger Jahren als Schauspieler gut im Geschäft. Auf Grund seines Äußeren – muskulös, bullig und kahlgeschoren – war er auf prollige Frauenschlägertypen und Vergewaltiger spezialisiert. In Kriminalserien wie »Der Kommissar« oder »Derrick« fand er sein Auskommen. Exemplarisch sind seine Rollen als saufender Macho in der »Kommissar«-Episode »Die kleine Schubelik« (mit der immer phantastischen Österreicherin Erni Mangold als Mörderin) und als debil-psychopathischer Frauenmörder in »Tod am Bahngleis« bei »Derrick«.
Die Figuren, die Peter Kuiper spielte, sind so ziemlich das Gegenteil des Typus Mann, den Robert Habeck gibt. Man kann sich den früheren Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz schlecht als Hilfsarbeiter auf dem Bau oder Bierfahrer vorstellen. Seine Rolle ist die des smarten, nachdenklichen und tiefgründigen Verstehers. Über Robert Habeck ist – auch und insbesondere – in dieser Zeitung alles gesagt worden. Auf die Beiträge von Jürgen Roth (»Der Robert mit den Klößen«, 22./23.2.2025) und Andreas Maier (»Bruder Habeck«, 13./14.7.2024) sei an dieser Stelle nochmals ausdrücklich und mit Nachdruck hingewiesen.
Am Vormittag des 5. Oktobers, an dem Habeck zu »Habeck live« ins Berliner Ensemble einlud, spazierte ich über den eindrucksvollen Friedhof und zuallererst zur letzten Ruhestätte des Eisenbiegersohns und Boxweltmeisters Graciano »Rocky« Rocchigiani – auch so ein Gegenentwurf zu Habeck (»Wat braucht der Mensch außer Glotze gucken, een bisschen bumsen und een bisschen Anerkennung?«). Auf das Grab hatte irgendein drolliger Spaßvogel ein Buch von Rocchigianis Intimfeind Henry »Gentleman« Maske gelegt. Wenige Meter weiter ruht der Schlagersänger und Frauenliebling Christian Klusacek, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Chris Roberts (»Du kannst nicht immer siebzehn sein, Liebling, das kannst du nicht«). Der Friedhof ist überdies bekannt als letzte Ruhestätte von Rio Reiser, F. W. Bernstein und den Brüdern Grimm.
Nach Kuipers Grab suchte ich fast zwei Stunden, ungefähr so lange, wie die spätere Veranstaltung im Berliner Ensemble dauerte. Und ich wurde fündig; anders als Habeck bei der Suche nach einer Antwort auf die Frage »Braucht unsere Demokratie den Notfall?«, die er sich mit seinem früheren Ministerkollegen und Duzfreund Volker Wissing und der gesiezten Podcasterin Anne Will stellte. Um dann zum Schluss zu dem Schluss zu kommen, dass man nach fast zwei Stunden des freundlichen Plauderns jetzt nicht noch weiter komme. Außerdem sei nun Zeit, Platz zu machen für die Abendvorstellung (Brechts »Die Dreigroschenoper«). Alright!
Überhaupt, es war alles sehr freundlich und lieb. Habeck reichte seine Wasserflasche ins Publikum, Anne Will schenkte Getränke nach, und Wissing forderte stets wortreich unter wohlmeinendem Beifall fairen Dialog und Verständnis im Sinne politischen Verantwortungsbewusstseins.
Und dann platzte die zweite Bombe des Nachmittags: Über das Themenfeld »politische Verantwortung und Dienen« schreibt Wissing ein Buch (Wow! Hammer!), für das Habeck dann nicht vergaß, augenzwinkernd Werbung zu machen. Ein Schlemihl, der Robert. Da wurde es sogar Anne Will zu blöd, und sie störte das männerfreundschaftliche Gelobe, Gehabe und Getue mit zarten Einwänden, alles natürlich betont respektvoll formuliert.
Wer aufgepasst hat, wird bemerkt haben, dass ich den zweiten Knaller des Formats (Wissing. Schreibt. Ein. Buch!) – aus Gründen der Textlogik – vor dem ersten erwähnt habe. Also Nachtrag: Gleich zu Beginn ließ Anne Will mit einer Sensationsmeldung aufhorchen: Ihre Mutter trägt ein Hörgerät! »Entzückend, Baby. Isses wahr?« glaubt man den lollylutschenden Lieutenant Theo Kojak in der illusionslosen Krimiserie »Einsatz in Manhattan« aus dem Off zu vernehmen. Anne Wills Mutter trägt ein Hörgerät, Volker Wissing schreibt ein Buch – und Robert »Chris Roberts« Habeck? Habeck spricht seine obligatorisch warmen Habeckworte (»will nicht im Blues rumreiten«), an die man sich – außer an die ständig wiederholte Fragestellung, ob denn die Demokratie den (herbeigeredeten) Notfall brauche – begreiflicherweise nicht mehr erinnern will und kann. Anne Will bleibt mit der Aussage in Erinnerung, dass man »Zwangsgebühren« (als Bezeichnung für den GEZ-Beitrag) »nicht sagen muss«.
Wissing redete gefühlt am meisten. Penetrant oft führten die Drei mit den Fragezeichen auf der Stirn die Wörter »wir« und »uns« im Munde. Von Gerhard Polt stammt der Ausspruch »Wer ist wir? Ich nicht!« Sie meinen zweifelsohne sich selbst und fühlen sich von Trump, Putin und Wahlergebnissen attackiert. »Das ist ein Angriff auf unser System«, klagte Will. Dagegen müsse »man« (aha!) aufstehen. Diese »Drecksarbeit« dürfen dann wohl gerne Eisenbieger, Hilfsarbeiter und Bierfahrer übernehmen. »’S war immer so, ’s war immer so« sang einst Willy Millowitsch.
Auf Peter Kuipers Grabstein steht aus »Faust« zu lesen: »Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis«.
Habecks Talkreihe wird fortgesetzt.
Nächste Vorstellung: 30.11., »Gefährdete Ordnungen« mit Florence Gaub und Anders Levermann
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