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Aus: Ausgabe vom 18.07.2025, Seite 11 / Feuilleton
Theater

»Wie zahm wir alle geworden sind!«

Zum Tod des Theatermachers und Impresarios Claus Peymann
Von Florian Neuner
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Ein Leben fürs Theater: Claus Peymann (7.6.1937–16.7.2025)

Als das Theater und seine Wahrnehmung noch geprägt waren von großen Autoren, von Stücken, Schauspielern und der Handschrift mitunter autokratisch auftretender großer Regisseure, war das die große Zeit des selbsternannten Zirkusdirektors Claus Peymann. So lange ist das noch gar nicht her – auch wenn es einem angesichts des postdramatischen Diskurstheaters, des dokumentarischen Theaters und wie all die seit der Jahrtausendwende tonangebenden Strömungen heißen mögen, die ohne all das auskommen, so vorkommen mag. Am Ende war der langjährige, stets streitbare Direktor des Berliner Ensembles resigniert und beklagte sich in Interviews über den Verlust der Magie und darüber, wie bedeutungslos das Theater und wie zahm doch alle Theaterleute – ihn eingeschlossen – geworden seien.

Dabei hatte die Karriere des am 7. Juni 1937 in Bremen als Sohn eines »guten Nazis« und einer »halben Antifaschistin« in eine Lehrerfamilie Geborenen im Fahrwasser der Studentenbewegung begonnen – am Universitätstheater in Hamburg und im Theater am Turm in Frankfurt am Main, wo Peymann als Uraufführungsregisseur von Peter Handkes kontrovers aufgenommener »Publikumsbeschimpfung« 1966 Theatergeschichte schrieb; Handke war damals jung, wild und noch ein interessanter Autor. Obgleich dem Selbstverständnis nach Achtundsechziger und Parteigänger der linken Opposition, konnte Peymann doch mit den Mitbestimmungsmodellen, wie sie damals an vielen Theatern ausprobiert wurden, wenig anfangen, huldigte einer bürgerlichen Genieästhetik und sah sich eher in der Rolle des mitunter selbstherrlichen Impresarios. Theaterdirektor wurde er zum ersten Mal 1974 in Stuttgart, wo er in Konflikt mit dem Ministerpräsidenten und Altnazi Hans Filbinger geriet, als er im Theater Geld für die Zahnbehandlung Gudrun Ensslins sammeln ließ. Es folgte ab 1979 eine glückliche Zeit am Schauspielhaus Bochum, wo er als Regisseur bei Publikum und Kritik große Erfolge feiern konnte, etwa mit Kleists »Hermannsschlacht« oder dem »Weltverbesserer« von Thomas Bernhard und einem erlesenen Schauspielerensemble, zu dem Kirsten Dene, Manfred Karge und Gert Voss zählten.

Die Arbeit in Bochum qualifizierte Claus Peymann schließlich zum Burgtheaterdirektor; 1986 begann seine 13jährige, von Anfang an umstrittene Intendanz. Der »Piefke« trat in Wien forsch auf und machte sich viele Feinde, als er den Kampf mit der Bürokratie und alten Gewohnheiten aufnahm und unkündbare Publikumslieblinge von gestern und vorgestern in den unbezahlten Urlaub schickte. Es sollte aber nicht lange dauern, bis ein Gert Voss auch in Wien zum absoluten Star avancierte. So schön wie an der Donau sollte es für den dem Selbstbild nach politischen Aufrührer Peymann nie mehr werden. Seine Arbeit wurde in Boulevardmedien und am Stammtisch aufgeregt diskutiert – auch von Leuten, die sowieso niemals ins Theater gegangen wären –, und Peymann gab dem Affen immer Zucker. Legendär ist die Uraufführung von Thomas Bernhards »Heldenplatz«, die 1988 in eine Zeit fällt, in der Kurt Waldheim als Bundespräsident amtierte und das Gedenkjahr (50 Jahre nach dem »Anschluss« Österreichs an das »Dritte Reich«) von kontroversen Debatten begleitet begangen wurde. In Karl-Ernst Herrmanns auf Cinemascope aufgeblasene Puppenstube wurde der Jubel, der Adolf Hitler 1938 auf dem Heldenplatz entgegenbrandete, als Halluzination eingespielt. Nicht zuletzt »Heldenplatz« hat Peymanns Lieblingsautor Bernhard den unverdienten Ruf eines politisch wachen Autors eingebracht; wer aber bei dem zu verbalen Rundumschlägen neigenden Misantrophen sucht, wird auch Schmähtiraden auf die sozialdemokratische Reformpolitik eines Bruno Kreisky finden, ohne die sich das Burgtheater später gewiss nicht für einen Peymann geöffnet hätte. In Wien, bemerkt der Theaterkritiker Ronald Pohl in seinem Nachruf im Standard, ging aber »vor allem dem Regisseur Peymann allmählich die Luft aus«, und er wechselte 1999 ans Berliner Ensemble.

Seltsam berührt im Rückblick, dass ausgerechnet ein politisch engagierter Theatermacher wie Peymann so lange der ästhetisch abgestandenen Sozialkritik eines Peter Turrini, dem späten Handke oder gar einem Christoph Ransmayr die Treue hielt und sich nicht nach brisanterem Material umsah. Der Plan, in der neu ausgerufenen Berliner Republik ähnlich im Gespräch zu bleiben wie in Wien, gar ein »Reißzahn im Arsch der Mächtigen« zu sein, konnte nicht aufgehen. In Berlin wurde Peymann entweder ignoriert oder von den Kritikern geschmäht – und vom Publikum doch weiter geliebt. Für ihn war es aber letztlich ein »schöner Epilog« seines Theaterlebens. Trotzig verwies der alte Zirkusdirektor, der bis 2017 das Berliner Ensemble leitete, auf die gute Auslastung seines Hauses. Dass dieses zu einem Museumsbetrieb mutiert war, war ihm wohl bewusst. In einem Gespräch auf Deutschlandfunk Kultur sagte er 2015 entwaffnend ehrlich: »Wir hatten immer Gegner. Heute ist der Gegner unsichtbar.« Am 16. Juli ist Claus Peymann 88jährig in Berlin endgültig von allen Bühnen abgetreten.

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