Computerliebe
Von Marc Hairapetian
»Ein fehlerhaftes Programm, das leben will. Wieso das?« fragt in »Tron: Ares« Videospielentwickler Kevin Flynn (Jeff Bridges), der einst selbst in der Urszene von »Tron« (Steven Lisberger, 1982) als sein in einer Computerwelt gefangenes digitales Alter ego Clue zusammen mit dem Titelhelden (Bruce Boxleitner) das machthungrige Master Control Program besiegte. Sein Gegenüber Ares (Jared Leto) antwortet ausweichend: »Es ist … nur ein Gefühl …« Lakonisch entgegnet Flynn, der sich dabei wie Mr. Spock aus »Star Trek« anhört: »Faszinierend!«
Das Reboot von Joachim Rønning (»Kon-Tiki« 2012, »Pirates of the Caribbean: Dead Men Tell No Tales«, 2017; »Maleficent: Mächte der Finsternis«, 2019) hat auf jeden Fall mehr Humor als der düstere Vorgängerfilm, Joseph Kosinskis Regiedebüt »Tron: Legacy« (2010). Für eine Dystopie über ein künstliches Wesen, das allmählich Emotionen entdeckt, fehlt es »Tron: Ares« im Gegensatz zu den ersten beiden Teilen an Tiefe. Dafür sind die Schauwerte und der bombastische Soundtrack der Industrialband Nine Inch Nails sensationell. Inhaltlich werden bei »Tron: Ares« auch Erinnerungen an die erste »Planet der Affen«-Kinoreihe vom visionären Produzenten Arthur P. Jacobs wach. Wo im dritten Film »Flucht vom Planet der Affen« (Don Taylor, 1971) Schimpansenwissenschaftler nach der Zerstörung der Erde mittels Zeitreise aus der Zukunft in die Gegenwart der 70er gelangen, kommt nun ein Programm aus zukünftiger Computerwelt zu uns.
Nachdem der schon in »Tron: Legacy« von Jeff Bridges verkörperte Flynn eine Technologie entwickeln konnte, die es ihm ermöglicht, in digitale Welten abzutauchen, in denen Programme in menschlicher Gestalt agieren, verspricht sich nun Jahrzehnte später der junge Konzernchef Julian Dillinger (Evan Peters), der Enkel von Flynns früherem Rivalen Ed Dillinger, vor der Heerschar seiner Claqueure vom umgekehrten Weg noch viel mehr: »Seit Anbeginn der Zeit blickt der Mensch in die Sterne und fragt sich: Sind wir allein? Heutzutage wird soviel über KI geredet. Über fremde Welten. Wie werden sie aussehen? Und wie kommen wir dahin? Ja, Freunde, wir gehen da nicht hin!. Sie kommen zu uns! Ich möchte ihnen Ares vorstellen, den ultimativen Soldaten. Stark wie ein Titan, blitzschnell, außerordentlich intelligent – und sollte er im Kampf fallen, mache ich ihnen einfach noch einen!«
Um Sprüche aus der Faschorhetorik ist Drehbuchautor Jesse Wigutow (»Daredevil: Born Again«, 2025) wahrlich nicht verlegen. Doch natürlich ist im Projekt »Supersoldat« ein Haken eingebaut: Zunächst kann die Vorzeige-KI Ares nur für 29 Minuten ihre Heimat aus Nullen und Einsen verlassen, bevor sie zerfällt. Um den Transfer permanent zu machen, wird ein Code benötigt, den Flynn virtuell versteckt hat. Und da kommt ein weiblicher Lichtblick ins Spiel: Die idealistische Ziele verfolgende Eve Kim (Greta Lee) kann diesen Code knacken. Als Flynns CEO-Nachfolgerin bei der Videospielfirma ENCOM hat Dillinger es auf sie abgesehen und setzt Ares auf sie an. Allerdings hat er die Rechnung ohne das Programm gemacht.
Wo Steven Lisbergers im analogen 70mm-Breitbildformat gedrehter »Tron«-Auftakt 1982 im Rückblick als einer der innovativsten Disney-Filme gelten kann, der in den Bereichen Tricktechnik und Design das Science-Fiction-Genre revolutionierte und mit den Kompositionen der Synthesizerpionierin Wendy Carlos auch für den angemessenen Soundtrack sorgte, greift Joachim Rønning bei allen CGI-Effekten auf klassische SciFi zurück. Eine weitere Analogie ist Mary Shelleys 1818 veröffentlicher Roman »Frankenstein oder Der moderne Prometheus«. So wie sich das aus Leichenteilen zusammengeflickte, ungeliebte Monster gegen seinen Schöpfer auflehnt, so revoltiert auch der aus Bits und Bites zusammengesetzte Ares gegen Dillinger. Keine schlechte Idee, aber etwas mehr »Tron« hätte es schon sein dürfen. Bruce Boxleitner, der Titelheld von 1982, der auch noch 2010 mit von der Partie war, macht diesmal übrigens nicht mehr mit.
»Tron: Ares«, Regie: Joachim Rønning, USA 2025, 119 Min., Kinostart: heute
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