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Aus: Ausgabe vom 09.10.2025, Seite 10 / Feuilleton
Geschichtspolitik

Noch einmal Aly

Viereinhalb schwer erträgliche Stunden bei »Jung & Naiv«
Von Gerhard Hanloser
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»Einmal in Fahrt / kick ich mein Scheiß hart« – Götz Aly

Ende September, in Folge 781, durften sich Freunde des Podcastformats »Jung & Naiv« des Journalisten Tilo Jung über viereinhalb Stunden Götz Aly freuen. Für einen Historiker spricht Aly etwas viel von »wir«, er meint »die Deutschen«. Für die schlägt sein Herz, für die hat er Verständnis, sofern sie dynamisch nach oben strebende oder verarmte Nazis waren. Sind sie Kommunisten, schwindet die Nachsicht. In der KPD sieht er, der bundesrepublikanischen Totalitarismustheorie folgend, nur extremistische Feinde der Weimarer Republik. KPD und NSDAP hätten zusammen die offenbar lupenreine Demokratie zu Fall gebracht, also gleichermaßen Schuld an ihrem Untergang.

Aly behauptet, der katholische Widerstand gegen die Nazis sei signifikant größer gewesen als jener der Kommunisten. Doch wer saß massenhaft in den wilden KZ ab 1933? Katholische Priester oder rote Kader? Der Publikumsfrage nach dem Verhältnis von Großkapital und den Nazis weicht Aly aus, um zu erklären, dass es angesichts des Chaos der späten 20er Jahre verständlich gewesen sei, sich nach einem Mann der Ordnung zu sehnen. Auch das Großkapital kann so mit Alys Milde rechnen. Davon, die AfD »gesichert rechtsextrem« zu nennen, hält er wenig, sich selbst verortet er nicht weniger ideologisch, gleichwohl nichtssagend in der »Mitte«.

Rechte Kommentatoren und Youtuber feiern Aly, auch weil er gegenüber dem historisch unterbelichteten Tilo Jung feststellen kann, dass die Kommunisten keine Demokratie, sondern eine Diktatur anstrebten. Sie begeistert Alys scheintabubrecherisches Spiel, den Nazis echte soziale Qualitäten zuzuschreiben und zu insinuieren, dass sie auch irgendwie »links« waren. Sicher gab es Maßnahmen, um deutsche Subalterne bei Laune zu halten – vom Winterhilfswerk über die Rente und Kraft-durch-Freude-Urlaubsfahrten bis zum Profitieren von Arisierung und Raubkrieg. Dennoch war, wie die Naziführung dank der SD-Berichte wusste, ihre Herrschaft irgendwann nur noch mit blankem Terror aufrechtzuerhalten. Heutzutage den Sozialstaat mit den Nazis in Verbindung zu bringen, um ihn schleifen zu können, ist die niedere Schule der diskursiven Demagogie. Kaum einer beherrscht sie so gut wie Götz Aly.

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  • Leserbrief von Anke Otto-Rössig aus Rønne (Dänemark) (10. Oktober 2025 um 10:48 Uhr)
    Aly wurde für die Sozialistischen Arbeitskollektive im Sommer 1970 als studentischer Vertreter in den neu gebildeten Fachbereichsrat des Otto-Suhr-Instituts gewählt. 1971 gehörte er zu den Begründern und Redakteuren der Zeitung »Hochschulkampf – Kampfblatt des Initiativkomitees der Roten Zellen in West-Berlin«, das sich der maoistischen Proletarischen Linken/Parteiinitiative zuordnete. Es ist immer wieder erstaunlich, wie solche Typen später den totalen Rechtsschwenk in ihren Worten und Taten einleiten und entweder zum Neonazi werden wie Horst Mahler (Sozialistisches Anwaltskollektiv; Kommunistische Partei Deutschlands (Aufbauorganisation); Rote Armee Fraktion) oder oder in Höchstpotenz staatstragende Rollen übernahmen wie Winfried Kretschmann (Hochschulgruppe des Kommunistischen Bundes Westdeutschland; Kommunistische Studentengruppe/Marxisten-Leninisten; Sozialistisches Zentrum) und noch manche andere, vor allem später Grüngewendete. Damals definierten sie sich selbst als »Kommunisten«, die das »Rote Fähnlein der aufrechten Kommunisten« hochhalten. Ekelhafte Renegaten!
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ralph D. aus Gotha (10. Oktober 2025 um 09:25 Uhr)
    Alys Milde für die »einfachen« alten Nazis und seine Voreingenommenheit gegenüber Kommunisten ist nur schwer verständlich. Da er sich der Gruppe der Historiker zurechnet, sollte man von ihm anderes erwarten können. Auf einer vor längerer Zeit in Erfurt durchgeführten Veranstaltung über den Massenmord an Kranken und Behinderten (sog. Aktion T 4) setzte er als Referent beim Publikum zu viel Vorkenntnisse voraus und stieg dadurch in die Thematik mittendrin ein. Als ich ihn im Rahmen der Diskussion auf das in der DDR 1973 und in der Bundesrepublik 1979 unter anderem Titel erschienene Standardwerk »Nazimordaktion T4« hinwies, verleitete ihn dies zu diffamierenden Äußerungen über dessen Autor Friedrich Karl Kaul. Das war mehr als enttäuschend. Ralph Dobrawa, Gotha

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