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Aus: Ausgabe vom 08.10.2025, Seite 2 / Inland
»Deutsche Wohnen und Co. enteignen«

»Mieter müssen keine Angst mehr haben«

Berlin: Das nächste Volksbegehren über ein Gesetz zur Vergesellschaftung von Wohnungen wäre für den Senat bindend. Ein Gespräch mit Thorben Hauser
Interview: Kristian Stemmler
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Haben Grund zu feiern: Aktivistinnen und Aktivisten der Initiative »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« präsentieren ihren fertigen Gesetzentwurf (Berlin, 26.9.2025)

Die Initiative »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« hat vor kurzem einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Vergesellschaftung von Wohnungen in Berlin vorsieht. Was regelt das Gesetz konkret?

Unser Gesetz legt nicht nur fest, welche Wohnungen der großen Immobilienkonzerne vergesellschaftet werden, wie hoch die Entschädigung ausfällt und in welcher Form diese geleistet wird, sondern regelt detailliert die tatsächliche Umsetzung der Vergesellschaftung von Tag eins an. Damit wird Artikel 15 des Grundgesetzes erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland mit Leben gefüllt – ein historischer Moment!

Beim Volksentscheid 2021 hat eine Mehrheit der Enteignung der großen Wohnungskonzerne zugestimmt. Warum war es dennoch nötig, ein Gesetz zu erarbeiten?

Der Berliner Senat hat seit 2021 alles daran gesetzt, den gewonnenen Volksentscheid zu verschleppen. Noch unter SPD-Führung wurde die Vergesellschaftung in eine Expertenkommission vertagt, die dann allerdings selbst feststellte: Vergesellschaftung ist rechtlich möglich und finanzierbar. Seitdem lavieren SPD und CDU wahlweise um ein völlig unnötiges und folgenloses Rahmengesetz herum oder sprechen ihre Geringschätzung für das demokratische Votum ganz offen aus. Deshalb haben wir schon vor zwei Jahren entschieden, die Vergesellschaftung selbst in die Hand zu nehmen und den Berlinern und Berlinerinnen unser eigenes Gesetz vorzulegen.

Wie geht es jetzt weiter?

Sobald sowohl das Vergesellschaftungsgesetz als auch das Trägergesetz für die Anstalt öffentlichen Rechts, die künftig die vergesellschafteten Wohnungen verwalten wird, finalisiert sind, werden wir beide gemeinsam in einem Volksbegehren einbringen. Der Senat hat im weiteren Prozess die Möglichkeit, das Gesetz dem Landesverfassungsgericht zur Prüfung vorzulegen. Ob er von dieser Option Gebrauch macht – und wie lange sich dieser Prozess hinziehen wird – bleibt abzuwarten. Ein genaues Datum ist daher schwer zu prognostizieren.

Falls erneut eine Mehrheit ja sagt, hätten der Senat oder die Konzerne noch Möglichkeiten, die Umsetzung des Gesetzes zu behindern?

Anders als der Beschlussvolksentscheid 2021 ist ein Gesetzesvolksentscheid unmittelbar bindend. Das heißt: Sobald der Volksentscheid von den Berlinern und Berlinerinnen angenommen ist, sind die Wohnungen rechtlich in Gemeineigentum überführt. Eine weitere Verzögerungstaktik durch den Senat ist dann nicht mehr möglich. Unser Gesetz regelt die Umsetzung vollumfänglich und enthält klare Mitwirkungspflichten und Fristen.

Könnte die Höhe der Entschädigungen ein Streitpunkt sein?

Wir sind überzeugt, mit unserem Vorschlag ein faires, rechtssicheres und zugleich pragmatisches Modell vorgelegt zu haben. Dabei orientieren wir uns an den Regelungen des Bewertungsgesetzes, das beispielsweise auch bei der Berechnung der Erbschaftsteuer tagtäglich Anwendung findet. Bei der Ermittlung der Entschädigungshöhe wird der Gebäudewert vollständig berücksichtigt – nicht jedoch die in den vergangenen Jahrzehnten explodierten Bodenwerte. So wird eine Entschädigung ermöglicht, die deutlich unter dem Verkehrswert liegt und sich allein aus den Mieteinnahmen refinanzieren lässt.

Welche Vorteile haben die Mieter von einer Vergesellschaftung der Wohnungen?

Die Mieten bleiben langfristig bezahlbar. Die Mieter müssen keine Angst mehr davor haben, aus ihren Wohnungen verdrängt zu werden. In der Anstalt öffentlichen Rechts »Gemeingut Wohnen« erhalten die Mieter außerdem umfangreiche demokratische Mitbestimmungsrechte.

Welche positiven Auswirkungen versprechen Sie sich für den gesamten Berliner Wohnungsmarkt?

Mit der Vergesellschaftung würden rund eine Viertelmillion Wohnungen dem Markt entzogen. Von einem übergreifenden Effekt ist allein schon durch die Dämpfung des Mietspiegels auszugehen. Außerdem ist die Vergesellschaftung eine unmissverständliche Ansage an das private Immobilienkapital: Für Profite mit der Miete ist in Berlin kein Platz mehr!

Thorben Hauser ist Sprecher der Initiative »Deutsche Wohnen und Co. enteignen«

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