IHK im Angriffsmodus
Von Oliver Rast
Eine Gebäudefassade wie eine Panzerung. Fünfzehn mächtige Stahlbögen tragen die gerippte Struktur. Im Volksmund heißt der Komplex »Gürteltier«. Gelegen in der Fasanenstraße, unweit vom Ku’damm in Westberlins City. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin nebst Börse haben hier ihren Sitz. Passend der Namensgeber des Hauses: Ludwig Erhard. Und gleich ein halbes Dutzend Verbände haben am Dienstag vormittag geladen – zur Pressekonferenz (PK) unter dem Motto: »Ja zur Ausbildung. Nein zur Ausbildungsplatzumlage.« Neben der IHK etwa die örtliche Handwerkskammer, der Bundesverband Deutsche Startups und die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB). Ein geballter Aufmarsch Industrieller samt Lobbyvertretern. Im Visier: das sogenannte Ausbildungsförderungsfondsgesetz der Senatsverwaltung für Arbeit und Soziales von Cansel Kiziltepe (SPD). Den Gesetzentwurf, der jW vorliegt, wird die »schwarz-rote« Koalition am Donnerstag zur ersten Lesung ins Abgeordnetenhaus (AGH) einbringen.
In Kampfstimmung ist Manja Schreiner. »Das Gesetz muss gestoppt werden«, poltert die IHK-Hauptgeschäftsführerin in die Pressereihen. Denn die vorgesehene Ausbildungsplatzumlage sei eine »Strafabgabe« für alle (sic!) Unternehmen der Hauptstadt, meint die Resolute auf jW-Nachfrage. »Hier wird in gute und böse sortiert.« In jene, die ausbilden – und in jene, die das nicht tun. Und eh, mit einer »Abgabe« werde kein einziger Ausbildungsplatz geschaffen, hingegen viel Bürokratie erzeugt. Sven Weickert sekundiert – und ergänzt: Die Konjunkturschwäche laste bereits schwer auf den Betrieben, würde die 180.000 Unternehmen in Berlin mit zusätzlichen Verwaltungsaufgaben weiter stark belasten, betont der UVB-Geschäftsführer – und blickt dabei mahnend in die Journalistenrunde. Mehr noch, sollte das Gesetz im AGH verabschiedet werden, würden Unternehmer klagen, das Verwaltungsgericht anrufen.
Gut, soweit ist es längst noch nicht. Zumal das Gesetz laut Entwurf vollständig erst mit Beginn 2028 in Kraft treten würde. Ungeachtet dessen, worum soll es bei der Ausbildungsplatzumlage des Senats gehen? Um eine solidarische Refinanzierung von Ausbildungskosten, heißt es aus der zuständigen Senatsverwaltung. Die Umlage bedeute auch keine Mehrbelastung für Handwerk und Industrie, sondern mittels des Fonds, der Ausbildungskasse, würden Gelder umverteilt – innerhalb des Systems wohlgemerkt. Die Höhe der Umlage soll bei 0,1 bis 0,4 Prozent der Bruttolohnsumme des jeweiligen Unternehmens liegen.
Das Ziel ist definiert: 2.000 zusätzliche Ausbildungsverträge bis Jahresende 2025 sollen Unternehmen mit Azubis abschließen. Eine Maßgabe, die selbst die Berliner Wirtschaft im »Bündnis für Ausbildung« (Senat, Gewerkschaften, Kapitalverbände) unterstützt hat. Klappt das nicht, dann vielleicht durch Gesetzeskraft. Deshalb haben Fachreferenten den Gesetzentwurf für eine Umlage erarbeitet. So, wie es im Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD vom April 2023 fixiert worden war.
Wie realistisch ist die Zielmarke? Wenig. Ein Indiz: 2024 seien im Vorjahresvergleich rund 700 neue Azubiverträge hinzugekommen, weiß Weickert gegenüber jW. Um sofort nachzulegen: »Vergleichsweise mehr als in anderen Bundesländern.« Gewerkschafter beruhigt das nicht. Weil: In Berlin liegt der Anteil an ausbildenden Unternehmen mit 15,2 Prozent (bundesweit 18,9 Prozent) und der Anteil von Auszubildenden in den Belegschaften mit 2,1 Prozent (bundesweit 4,1 Prozent) niedriger als im Bundesdurchschnitt, teilte die IG Metall am Dienstag mit. Prozentsätze, die Weickert nicht gelten lässt. Warum? Die Wirtschaftsstruktur in der Bundeshauptstadt sei viel kleinteiliger als beispielsweise in NRW oder Baden-Württemberg.
Apropos Zahlenspiele: Entgegen der Behauptung der IHK wären nicht alle Unternehmen Berlins von der »Abgabe« betroffen. Branchen und Gewerke, die bereits ein tarifliches Umlagesystem für Ausbildungsplätze haben, »sind raus«, bestätigt der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Berlin, Jürgen Wittke, im jW-Gespräch nach der PK. Ferner sieht der Gesetzentwurf für Kleinstfirmen Härtefälle und Bagatellgrenzen vor.
Aspekte, die Schreiner nicht umstimmen werden. Denn die Mission der IHK-Hauptgeschäftsführerin ist klar: Die »Strafabgabe« verhindern – aus dem »stählernen Panzer«.
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