»Wir rechnen täglich damit, geräumt zu werden«
Interview: Gitta Düperthal
Seit September 2024 halten Menschen das Sündenwäldchen bei Manheim in Nordrhein-Westfalen mit Baumhäusern besetzt. Seit Montag gilt dort ein Betretungsverbot, das bisher nicht durchgesetzt wurde – wohl auch, weil Sie die Presse in den »Sündi« eingeladen hatten. Doch die Räumung droht. Was plant der Kohlekonzern RWE auf dem Gelände?
Nach altem Bergbaurecht ist der Konzern verpflichtet, das Gebiet nach beendetem Tagebau zu renaturieren. Weil es die billigste Möglichkeit ist, plant RWE dort, einen See mit Rheinwasser zu befüllen. Die meisten der ehemals 1.500 Bewohnerinnen und Bewohner hatten den an der Tagebauabbaukante gelegenen Kerpener Stadtteil Manheim im Rhein-Erft-Kreis sowieso schon verlassen müssen. Den Ort will RWE will nun komplett abreißen und nach »Manheim-neu« umsiedeln. Noch stehen dort etwa 20 Häuser. Um alles plattzumachen, will der Konzern den davorliegenden besetzten Wald »Sündi« roden. Nur 200 Meter entfernt ist unsere Dauermahnwache. Einzig die unter Denkmalschutz stehende Kirche Manheims soll auf einer Art Halbinsel erhalten werden. Noch ist es ruhig. Wir rechnen aber täglich damit, geräumt zu werden.
Der Konzern argumentiert, Kies und Sand des Gebietes zu benötigen, um die Tagebaukante zu stabilisieren, und will einen See mit Yachthafen errichten. Den wolle man für das »Allgemeinwohl« nutzbar machen. Warum sind Sie dagegen?
Der sogenannte Hafenbalkon, wie RWE ihn nennt, wird ein luxuriöses Ding. Er soll mit Treppen zu Anlegestegen und Booten führen. Dort sollen Villen entstehen, die wohl allenfalls für wenige Superreiche erschwinglich sein werden. Auch wenn der Konzern die Böschung absenken will, wird der Wasserspiegel noch etwa 60 Meter darunter liegen. Sonst droht Gefahr, dass an anderer Stelle Ortschaften überschwemmt werden könnten. Ob man in dem See schwimmen oder darin etwa Fische oder Pflanzen wird ansiedeln können, ist zweifelhaft. Ansteigendes Grundwasser werde wegen des Tagebaus Schwermetalle, Sulfide und andere Schadstoffe enthalten, warnen Experten. Die Wasserqualität wird schlecht sein.
RWE darf nun, unterstützt von der Stadt Kerpen, den »Sündi« zerstören, der überlebensnotwendig für den Erhalt des nahegelegenen Hambacher Waldes sei, so Ihre Kritik.
Der Hambacher Wald ist mit seiner Fauna und Flora in Europa einzigartig. Wird jetzt der östlich danebenliegende Sündi gerodet, die Bucht ausgebaggert, liegt der Hambi isoliert. Über kurz oder lang wird er – auch aufgrund fortschreitenden Klimawandels – austrocknen. Profit darf aber nicht über dem Erhalt der Natur stehen.
Macht sich RWE die Nachrangigkeit von Klimapolitik für die CDU/SPD-Bundesregierung und die CDU/Grünen-Landesregierung zunutze?
Als Aktiengesellschaft sieht sich der Konzern nur seinen Anteilseignern verpflichtet. Seine Maxime ist es, hohe Gewinne einzufahren: bei der Renaturierung Kosten zu sparen. Die Verflechtung zwischen RWE und Politikverantwortlichen in NRW ist immens. Sie haben meist zusammen studiert, kennen sich und kungeln miteinander. Zwar hatte man sich nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts 2018, das die Räumung des Hambacher Waldes untersagte, auf den Kohleausstieg 2030 verständigt. Doch unter dem »Hambi« liegen noch eine Milliarde Tonnen Braunkohle. Wird jetzt etwa im Rahmen von Kriegsvorbereitungen entschieden, mehr Energie zu brauchen, kann es sein, dass politisch anders entschieden wird. Mona Neubaur, »grüne« NRW-Wirtschaftsministerin, erklärte Ende 2024, der Kohleausstieg 2030 sei »nicht in Stein gemeißelt«.
Wie ist die Stimmung im Wald?
Noch kann man ihn unbehelligt betreten. Dort sind genug Menschen, wir sind vorbereitet, haben Lebensmittel herangeschafft. Am Boden sind Sitzgelegenheiten und Lagerfeuer. Wann Sicherheitskräfte von RWE kommen, eventuell auch die Polizei verständigen, wissen wir nicht. In der Allgemeinverfügung heißt es, ab dem 20. Oktober sei mit »der Ergreifung von Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung durch Ausübung von unmittelbarem Zwang« zu rechnen. Wir werden darum kämpfen, den Wald zu erhalten.
Marius Hinze ist aktiv in der Gruppe »Mahnwache Lützerath lebt«
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