»Sollten verstehen, was passiert«
Interview: Marc Bebenroth
Der Berliner Baumentscheid e. V. will per Volksentscheid mit einem »Bäume plus«-Gesetz die Stadt »hitzesicher und wetterfest machen«. Warum behalten Sie sich rechtliche Schritte vor, sollte der Senat von CDU und SPD einen eigenen Entwurf vorlegen, wie der umweltpolitische Sprecher der CDU-Fraktion am Donnerstag ankündigte?
Die CDU spricht nur von 500.000 Straßenbäumen. Bei uns stehen eine Million gesunde Straßenbäume drin. Dann wurde uns unverhohlen vom parlamentarischen Geschäftsführer der SPD im Verhandlungsgremium gesagt: Wenn wir auch nach ein paar Gesprächen nicht einverstanden sind, können wir doch den Klageweg gehen. Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner von der CDU spricht oft davon, dass es akut um den Erhalt der Demokratie gehe. Gerade macht seine Verhandlungsmannschaft exakt das Gegenteil.
Wie weit ist Ihr Entwurf?
Unser Angebot liegt zu 100 Prozent auf dem Tisch. Das ist ein rechtlich vom Senat auf Zulässigkeit geprüfter Entwurf. Der wurde mit EU-Normen, Verfassungsnormen sowie Landesnormen komplett durchgecheckt. Wir haben aber weder von CDU noch SPD jemals schriftlich eine Aussage dazu bekommen, was sie wollen oder nicht wollen. Am 1. Oktober soll es einen Fraktionsentwurf geben, ohne dass wir eingebunden waren.
Ihr Gesetz zielt darauf, den Baumbestand in Berlin systematisch zu erhöhen. Von welcher Größenordnung reden wir aktuell?
Jetzt werden pro Jahr ungefähr 6.000 Straßenbäume gefällt, aber nur die Hälfte wird nachgepflanzt. So zählen wir jetzt knapp 430.000. Wenn das so weitergeht, werden wir im Jahr 2040 ungefähr 100.000 Straßenbäume weniger haben, die unser Leben an Hitzetagen erträglich machen. Unser Gesetz sieht vor, jeden gefällten Baum im Verhältnis 1:3 zu ersetzen. Damit kämen wir wieder auf einen Bestand von 600.000 Straßenbäumen. Zusätzlich soll alle 15 Meter ein neuer Baum gepflanzt werden, in den Hitzevierteln vermutlich weitere 100.000, so dass wir auf die Million kommen.
Mit welchen Kosten kalkulieren Sie?
Der Senat und wir haben unabhängig voneinander eine Kostenschätzung im Sommer 2024 gemacht, und wir sind auf eine Größenordnung von 7,2 bis 7,5 Milliarden Euro gekommen. Jetzt hatten wir sehr gute Gespräche mit diversen amtierenden oder ehemaligen Finanzsenatoren von Grünen, SPD und der CDU. Dort haben wir glaubwürdig argumentieren können, dass in der Kalkulation die Kosten um 850 Millionen Euro zu hoch veranschlagt waren. Jetzt ist mit SPD und CDU eine Summe von drei bis vier Milliarden im Gespräch.
Irgendwer muss all diese Bäume bereitstellen. Gibt es dafür überhaupt Kapazitäten?
Die Lieferfähigkeit ist in diesem Umfang nicht da. Schon gar nicht, wenn auch die anderen Großstädte kräftig Bäume pflanzen. Es braucht innovativ-disruptive neue Pflanzmethoden.
Was muss eher weichen: der Gehweg oder die Straße?
Unser Gesetz regelt klar den Vorrang für die Pflanzung auf Flächen des ruhenden Verkehrs, also Parkplätzen.
Das dürfte Autofahrern nicht gefallen …
Wir haben einen stark schrumpfenden Pkw-Verkehr. Auf einigen Straßen sogar bis zu 50 Prozent weniger. Seit drei, vier Jahren sinkt die Zahl zugelassener Autos. Der Trend Richtung Carsharing und autonomes Fahren ist ungebrochen, und das ÖPNV-Angebot wird besser. Aber man muss die Bevölkerung sensibilisieren – sowie auch Vertreter der CDU. Die ist zu sehr ideologisch in ihrer CDU-Werkseinstellung verhaftet. Ich würde mich freuen, wenn sie ein bisschen technologieoffener werden und verstehen, was draußen passiert.
Wo sehen Sie besonderen Bedarf?
Wir haben einmal diese Hitzehotspots in Mitte: das Scheunenviertel, direkt zwischen Hauptbahnhof und Alexanderplatz. Da stehen teilweise überhaupt keine Bäume an den Straßen. Dann sind da Plattenbauten mit vergleichsweise wenig Grünflächen und hoher Hitze. Wir haben die Regelung entworfen, dass diejenigen Areale priorisiert werden sollen, in denen eher Menschen mit kleinem Geldbeutel wohnen. Denn die können sich am wenigsten vor Hitze schützen.
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