Der Krieg im Inneren
Von Mumia Abu-Jamal
Was geschieht heute in der Welt, insbesondere in den Vereinigten Staaten von Amerika? Ob ihr es glaubt oder nicht, was wir heute erleben, ist schon einmal geschehen, aber das können wir nur erkennen, wenn wir unsere Geschichte wirklich ernsthaft studieren und sie mit klarem Blick betrachten. Nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg – dem verlustreichsten Krieg in der Geschichte der Vereinigten Staaten – bekämpften die Kriegsverlierer, die Sklavenhalterstaaten des Südens, nach einem brüchigen Friedensschluss die »Reconstruction«, den Plan der US-Regierung des siegreichen Nordens, schwarzen Menschen das Recht auf die US-Staatsbürgerschaft zu gewähren.
Weiße Terroristen führten Krieg gegen die gerade erst aus der Sklaverei befreiten Menschen, indem sie deren Staatsbürgerschaft für null und nichtig erklärten. Sie griffen die Schwarzen an ihren Arbeitsplätzen an, überfielen sie auf offener Straße und beraubten sie ihres Rechts zu wählen, als Geschworene in Gerichtsverfahren aufzutreten oder Gewerkschaftsmitglieder zu werden.
Das Land, das die auf die Sklavenbefreiung bezogenen 13., 14. und 15. Verfassungszusätze verfasst und verabschiedet hatte, ignorierte in der Folge über 100 Jahre lang diese Rechte und Freiheitsgarantien der schwarzen US-Bevölkerung. Der Grund war, dass nicht die Verfassung, sondern ungeschriebene Regeln der weißen Vorherrschaft die USA regierten. Ein Land aber, das seine eigene Verfassung über 100 Jahre lang ignorieren kann, ist zu allem fähig.
Was bedeutete die US-Verfassung für die Schwarzen? Rein gar nichts. Was in den USA vor allem zählte, war die weiße Hautfarbe. Es bedurfte jahrzehntelanger Kämpfe der schwarzen Freiheitsbewegung, um die lange schmutzige Geschichte des weißen Terrorismus und der weißen Vorherrschaft anzukratzen. Dieser historische Rhythmus hat zu einem Kreislauf in der Geschichte der USA geführt, der sich just in diesem Moment im ganzen Land wiederholt. Das ist der wahre Grund für die sinnlosen Angriffe der US-Regierung auf die Geschichte der Schwarzen. Sie wollen ihre Geschichte verschwinden lassen, als hätte es sie nie gegeben.
Der verstorbene große Revolutionär Frantz Fanon sah während der algerischen Revolution eine ähnliche Entwicklung. In seinem Klassiker »Die Verdammten dieser Erde« schrieb Fanon über die Absichten der französischen Kolonialisten: »Der Kolonialismus begnügt sich nicht damit, ein Volk in seinem Griff zu halten und das Gehirn der Einheimischen jeglicher Form und Substanz zu berauben. Mit einer Art perverser Logik richtet er seine Aufmerksamkeit auf die Vergangenheit der kolonialisierten Menschen und verzerrt, entstellt und zerstört sie.«
Denkt stets daran: Keine Regierung kann die Geschichte eines Volkes auslöschen. Setzt alles daran, euren Kindern die Geschichte unseres Volkes zu vermitteln, damit sie in ihren Herzen aufblühen kann. Dann wird sie dort über Generationen hinweg weiterleben – mit Liebe, nicht mit Angst.
Übersetzung: Jürgen Heiser
Dieser Kommentar von Mumia Abu-Jamal war am 28. September auch auf der Konferenz »Black Rage Against the Machine« zu hören. Abu-Jamal dankte zu Beginn seiner Botschaft den »lieben Brüdern und Schwestern für die Einladung«. Pam Africa vom Komitee »International Concerned Family and Friends of Mumia Abu-Jamal« informierte die Versammelten auch über die aktuelle gesundheitliche und juristische Lage des politischen Gefangenen. Auf der eintägigen Konferenz in Philadelphia sprachen außer den Gastgebern Brother Shomari von Radio WURD und Empress Phile’ Chionesu, Präsidentin des »National Million Women March«, die Black-Panther-Veteranen Charles und Inez Barron sowie der Psychiater James McIntosh vom »Committee to Eliminate Media Offensive to African People«. (jh)
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