Eine Million in Rom
Von Luca De Crescenzo, Rom
Massen waren am Sonnabend in Rom auf den Beinen. Eine Million Menschen drängten sich auf den Straßen – laut den Organisatoren die größte Demonstration, die Italien in den letzten zwanzig Jahren gesehen hat. Die beeindruckende Zahl ist glaubwürdig: Der Zug hatte seinen Startpunkt noch nicht verlassen, als die Spitze bereits am Ziel ankam und auf der Bühne die ersten Reden begannen – fast vier Stunden Wortbeiträge. Eine schier endlose Welle an Menschen, getragen von der Wut und der Ohnmacht, die sich in zwei Jahren aufgestaut hatten angesichts der nicht zu ertragenden Bilder aus Gaza.
Doch es lag auch Stolz in der Luft – das Bewusstsein, zu denen zu gehören, die auf der richtigen Seite der Geschichte stehen, fähig, sich von der kriminellen Komplizenschaft seines eigenen Staates mit dem laufenden Völkermord abzugrenzen. Die Worte der Journalistin Eman Abu Zayed aus Gaza – »Italian people made us smile« – bewegten auch jene, die sie nie direkt gelesen hatten.
Ähnliche Menschenmengen hatte man in Italien zuletzt bei den Studierendenprotesten der Bewegung Onda im Oktober 2008 gesehen – oder noch früher, bei den riesigen Demonstrationen gegen den Irak-Krieg oder gegen die Arbeitsmarktmaßnahmen der Berlusconi-Regierung. Damals jedoch waren solche Massendemos nur mit der Unterstützung der großen Gewerkschaften wie der CGIL und der linken Parteien möglich. Genau diese Kräfte haben später oft Kriegs- und Kürzungspolitik mitgetragen oder ihnen zumindest nicht widersprochen – und damit an Glaubwürdigkeit verloren.
Am Sonnabend war es kaum vorstellbar, Fahnen der Demokratischen Partei (PD) zu sehen. Nur eine kleine Jugendsektion tauchte auf – und wurde wegen der Nähe ihres Parteiapparats zum israelischen Staat ausgebuht. Von der Fünf-Sterne-Bewegung war lediglich ein winziger Block anwesend, und von der AVS (»Allianz aus Grünen und Linken«) zeigten sich nur einzelne Abgeordnete. Die CGIL hatte ihren Mitgliedern die Teilnahme freigestellt, ohne jedoch offiziell aufzurufen.
Warum die großen Parteien und Gewerkschaften fernblieben, wird deutlich, wenn man auf das Manifest der Demonstration blickt: Es verband eine kompromisslose Ablehnung der NATO mit der uneingeschränkten Unterstützung des palästinensischen Widerstands. Eine klar antizionistische Linie, verdichtet in einem der meistgerufenen Slogans »Italien weiß, auf welcher Seite es steht – Palästina frei vom Fluss bis zum Meer«. Worte, die in Deutschland unter Strafe stehen. Hinter dem Zug standen dieselben Gruppen, die bereits vor einem Jahr eine ähnliche, zunächst verbotene Kundgebung organisiert hatten, damals diffamiert als »Terrorunterstützung«, was viele Menschen abgeschreckt hatte.
»Ein Jahr harter, kompromissloser Arbeit hat es ermöglicht, die Stigmatisierung und Repression zu überwinden und diesen historischen Tag zu schaffen«, erklärte Samed von den Giovani Palestinesi d’Italia (Junge Palästinenser Italiens). Teil dieser Arbeit war die Solidarität mit Anan Yaeesh, einem in Italien lebenden Palästinenser, der wegen eines vielen als absurd erscheinenden Terrorismusvorwurfs im Hochsicherheitsgefängnis sitzt. Sein Gesicht und sein Name waren auf vielen Transparenten zu sehen.
Die jetzige Massenbewegung hat bereits Schiffe und Häfen blockiert, am Freitag mit einem Generalstreik praktisch große Teile des Landes lahmgelegt – ein Streik, dem sich zum ersten Mal in ihrer Geschichte auch die CGIL anschließen musste, nachdem ihn die Basisgewerkschaften ausgerufen hatten. Zahlreiche Italiener sind der Auffassung, dass dies erst der Anfang einer breiten Protestbewegung ist.
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