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Aus: Ausgabe vom 02.10.2025, Seite 6 / Ausland
Tschechien

Brüssel blickt nervös nach Prag

Tschechien: Partei von EU-skeptischem Expremier Babiš hat gute Chancen bei Parlamentswahl
Von Mawuena Martens
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Im Wahlkämpfen versteht er sich: Andrej Babiš’ Konterfei auf einem Parteibus (Hradec Králové, 22.9.2025)

Geht man nach den Umfragen, wird die ANO bei den tschechischen Parlamentswahlen an diesem Freitag und Sonnabend gewinnen. Laut der in dieser Woche von Ipsos veröffentlichten Erhebung hat die Partei des ehemaligen Ministerpräsidenten und Milliardärs Andrej Babiš 32,6 Prozent Zustimmung. Das regierende rechtskonservative Spolu-Bündnis von Premierminister Petr Fiala kommt hingegen nur auf 21,1 Prozent. Wenn man dessen Koalitionspartner Stan hinzuzählt, dem rund elf Prozent der Stimmen vorausgesagt werden, liegen die beiden gegnerischen Blöcke allerdings fast gleichauf.

Hinzu kommen einerseits die Piraten, denen knapp neun Prozent prognostiziert werden, und die eher mit dem aktuellen Regierungslager koalieren würden, sowie andererseits die extrem rechte SPD (11,2 Prozent) und die linke Partei Stačilo! (Es reicht!) mit 7,7 Prozent, die ein gemeinsames Regieren mit ANO nicht ausschließen. Beide fordern Volksabstimmungen und sind für einen NATO-Austritt. Neu bei den Wahlen zum Parlament antreten werden auch die Motoristé sobě (Motoristen für sich). Sie kommen auf circa fünf Prozent und sind gegen den Green Deal und das Aus für Verbrennermotoren. Auch sie schauen Richtung ANO.

Schon befürchtet das Pro-EU-Lager nach Rumänien und Moldau daher eine weitere »Schicksalswahl«. »Droht bei Babišs Sieg ein neuer Problemfall für die EU?« titelte etwa die FAZ. Die Süddeutsche Zeitung sieht eine »Sehnsucht nach dem Milliardär«, und Telepolis fragt, ob das Land »ins Putin-Lager« kippe. Auch dpa schreibt von der möglichen Entwicklung des »Musterknaben zum Problemkind für Brüssel«. Innerhalb Tschechiens werden schon große Geschütze aufgefahren. So hat der amtierende Präsident Petr Pavel angekündigt, seine Macht dafür einzusetzen, dass das Land in NATO und EU verankert bleibt. Man werde die unternehmerischen Machenschaften Babiš genau überprüfen, bevor dieser eine Regierung bilden könne. Gegen den Politiker und Eigentümer des Agrar- und Chemiekonzerns Agrofert steht noch in diesem Herbst ein gerichtlicher Entscheid an. Hintergrund ist die Aufhebung eines Freispruchs durch das Prager Stadtgericht wegen des Vorwurfs von EU-Subventionsbetrug in Millionenhöhe.

Die Nervosität der EU-Anhänger in dem Staatenbund und Tschechien rührt vor allem daher, dass Babiš mit der klaren Ansage, keine weiteren Waffen mehr in die Ukraine zu schicken, Wahlkampf macht. In dieser Forderung hat er sich in der Zeit der Opposition vor allem von Stačilo! und SPD beeinflussen lassen, die in den vergangenen Monaten mit ihrer skeptischen Haltung zu Aufrüstung und Ukraine-Eskalation stark zulegen konnten. Der ehemalige Premier, der das Land von 2017 bis 2021 mit Minderheitskabinetten regierte und sich gern als volksnaher Kümmerer inszeniert, bezeichnet zudem den US-Präsidenten Donald Trump als sein Vorbild. Im EU-Parlament bildet seine Partei zusammen mit dem französischen Rassemblement National, der österreichischen FPÖ und der ungarischen Fidesz die Fraktion »Patrioten für Europa«. Außerdem wünscht sich Babiš eine Wiederbelebung des mitteleuropäischen Blocks, der Visegrád-Vier, bestehend aus Tschechien, Polen, Ungarn und der Slowakei. Innenpolitisch setzt die Partei, anders als die für einen fiskalpolitisch »verantwortungsvollen« Kurs argumentierende Spolu, auf Steuererleichterungen und Subventionen. Zudem will sie Einwanderung begrenzen.

Doch dass nicht so heiß gegessen wie im Wahlkampf gekocht wird – zumindest, was die Anbindung an die NATO anbelangt –, verdeutlichte am Sonntag der ANO-Vertreter Karel Havlíček in einer Fernsehdebatte. Er zählte nämlich neben »innerer und äußerer Sicherheit, Bildung, Gesundheitsversorgung, sozialen Diensten« und »traditionellen Werten wie Respekt gegenüber Familie und Älteren« auch eine feste Verankerung seines Landes in dem Kriegsbündnis als Priorität seiner Partei auf. Kateřina Konečná von der Kommunistischen Partei und Anführerin von Stačilo! schätzte die Lage bei der Debatte am Sonntag deshalb so ein, dass es ohne eine Beteiligung ihres Bündnisses nur zwei Möglichkeiten nach der Wahl gebe: eine rechtsgerichtete Regierung von Petr Fiala oder eine rechtsgerichtete Regierung mit menschlichem Antlitz von Andrej Babiš. Dass sie damit richtig liegen könnte, ist wahrscheinlich, schließlich will keine der großen Parteien mit Stačilo! koalieren.

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