»Sie werden kriminalisiert und angegriffen«
Interview: Gitta Düperthal
Polnische Behörden verweigern neuerdings landesweit die Entgegennahme von Asylanträgen von Menschen, die über Belarus geflohen sind. Wie verschärft das die ohnehin gravierende Lage der Betroffenen?
Seit März 2025 ist das Asylrecht an der Grenze zwischen Polen und Belarus durch ein Gesetz ausgesetzt, was für sich genommen schon gegen Völker- und Europarecht verstößt. Nun aber bestätigen uns unsere polnischen Partnerorganisationen, was wir befürchteten: Es trifft jetzt nicht nur Asylsuchende direkt an der Grenze zu Belarus, sondern auch die, die es nach Polen hinein oder zur polnisch-deutschen Grenze geschafft haben. Polen gewährt diesen Menschen keinen Zugang mehr zum Asylrecht.
Welche Gefahren drohen diesen Menschen?
Die Situation für Schutzsuchende in Polen ist miserabel. Im Grenzgebiet hängen Menschen, die in Europa Schutz suchen, in Wäldern und Sümpfen fest, teils wochenlang unversorgt, ohne medizinische Behandlung. Wer es nach Polen hinein geschafft hat, dem droht willkürlich und für lange Zeit Haft. In Deutschland ängstigen sich viele, nach Polen zurückgebracht und von dort wieder nach Belarus »gepusht« zu werden. Wenn ihr Schutzbedarf nicht mehr geprüft wird, droht ihnen rechtswidrige Abschiebung in ihre Herkunftsländer. Sie sind systematisch recht- und schutzlos gestellt.
Solche Schritte erfolgen nicht selten aus innenpolitischem Kalkül. Wie ist das Klima in Polen seit dem Regierungswechsel?
Extrem Rechte mobilisieren gegen Schutzsuchende, die PiS-Regierung ging ehemals hart gegen sie vor. Unter dem aktuell regierenden Ministerpräsidenten Donald Tusk der wirtschaftsliberal-konservativen Bürgerplattform Platforma Obywatelska hat sich die Lage laut polnischen Aktivistinnen und Aktivisten an der Grenze sogar noch verschlechtert. Trotz der krassen Verstöße gegen Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit gibt es daran europaweit keinerlei Kritik: weder von der EU-Kommission noch von Mitgliedstaaten. Schutzsuchende würden als Waffe vom russischen und belarussischen Präsidenten eingesetzt, heißt es. Mit militarisierter Sprache wird geradezu zur Akzeptanz von gewaltvollem Vorgehen an der Außengrenze Europas geworben.
Gibt es Gegenwehr?
Unter Inkaufnahme persönlichen Risikos setzen sich Aktive immer wieder solidarisch für die Rechte der Geflüchteten ein und helfen ihnen. Sie erfahren nicht nur keinerlei staatliche Unterstützung für ihre ehrenamtliche Hilfeleistung, sondern werden kriminalisiert und angegriffen.
Pro Asyl fordert, Asylsuchende an der deutsch-polnischen Grenze weder zurückzuweisen noch nach Polen zu überstellen. Warum sollte die Bundesregierung dem nachkommen?
In Polen gibt es aufgrund der Aussetzung des Asylrechts und der willkürlichen Inhaftierungen systemische Mängel, die Rückführungen im Rahmen der Dublin-Verordnung verbieten. Die von Deutschland seit dem Amtsantritt der neuen Regierung praktizierten Zurückweisungen von Asylsuchenden sind eh grundsätzlich rechtswidrig. Das hatte das Verwaltungsgericht Berlin im Fall von drei somalischen Menschen im Juli festgestellt. Dennoch hält die Bundesregierung grundsätzlich an ihrem Vorgehen fest. Solche nationalen Egoismen in der Migrationspolitik sorgen nicht nur für Reibung in der deutsch-polnischen Beziehung, sondern gefährden insgesamt die europäische Zusammenarbeit.
Wie weit ist die Regierungspolitik davon entfernt, eine humanitäre Asylpolitik umzusetzen?
Die Bundesregierung hat nicht nur rechtswidrige, sondern auch inhumane Maßnahmen ergriffen, wie etwa das Aussetzen der Aufnahme gefährdeter Menschen aus Afghanistan. Freilich weht uns ein starker politischer Wind entgegen, aber eine humanitäre Flüchtlingspolitik ist möglich. Wir haben immer wieder gesehen, wie gut die Aufnahme dieser Menschen funktionieren kann, wenn der politische Wille da ist. Wir müssen uns nicht damit abfinden, dass es ständig zu Gewalt und Tod an unseren Außengrenzen kommt. Es ist wichtig, für diese Vision einzustehen.
Wie denn?
Wir müssen der Bundesregierung klarmachen, wo sie Recht verletzt. Ein wichtiger Beitrag ist auch alltäglich gelebte Solidarität. Man kann sich zum Beispiel an der Umtauschaktion für die an Geflüchtete ausgegebenen Bezahlkarten in Bargeld beteiligen.
Wiebke Judith ist rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl e. V.
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