Tickets für die Rosa-Luxemburg-Konferenz
Gegründet 1947 Mittwoch, 1. Oktober 2025, Nr. 228
Die junge Welt wird von 3036 GenossInnen herausgegeben
Tickets für die Rosa-Luxemburg-Konferenz Tickets für die Rosa-Luxemburg-Konferenz
Tickets für die Rosa-Luxemburg-Konferenz
Aus: Ausgabe vom 30.09.2025, Seite 8 / Inland
Geschützte Art im Jagdrecht

»Erst der Abschuss erzeugt die Problemwölfe«

Bundesregierung plant Aufnahme des Wolfs ins Jagdrecht. Nabu warnt vor Folgen für Rudel. Ein Gespräch mit Silvester Tamás
Interview: Max Ongsiek
Woelfe_87277963.jpg
Wölfe im Wildpark Schorfheide in Brandenburg (15.4.2021)

Bundeslandwirtschaftsminister Alois Rainer von der CSU will den Wolf ins Jagdrecht aufnehmen. Der Entwurf für ein novelliertes Jagdgesetz liegt laut Rainer aktuell beim Umweltministerium. Ist Ihnen bekannt, welchen Umgang der Entwurf mit dem Wolf vorsieht?

Der Wolf ist eine streng geschützte Tierart. Grundsätzlich soll es erst einmal darum gehen, den Menschen das Märchen zu verkaufen, dass dieses Gesetz die schnellere Entnahme und leichtere Bejagung von Wölfen ermöglicht. Wir haben ja das Bundesnaturschutzrecht, das greift. Da gibt es klare Ausnahmeregelungen. Aber jetzt im Bundesjagdrecht noch eine zweite juristische Ebene aufzumachen, die konträr zum Naturschutzgesetz läuft, ist nicht zielführend. Denn erst der Abschuss erzeugt die Problemwölfe. Möglicherweise geht es aber darum, einen lästigen Konkurrenten der Jägerlobby loszuwerden – den Wolf.

Auch Sachsens Agrarministerium will Abschüsse von Wölfen wegen Schäden bei Weidetieren erleichtern und drängt ebenfalls darauf, die geschützte Art ins Jagdrecht aufzunehmen. Welche Erkenntnisse hat die Wolfsforschung über die Auswirkung von Bejagung auf die Population und das Verhalten der Tiere geliefert?

Die Forschung ist sich da eigentlich relativ einig, dass mit Bejagung mehr Schaden als Nutzen verursacht wird. Im Zweifelsfall werden die hochkomplexen Sozialstrukturen des Rudels regelrecht zerschossen. Viel wichtiger ist dagegen Herdenschutz. Länder wie Thüringen sind da vorbildlich, vor allem bei Nebenerwerbs- und Berufsschäfern.

In Südthüringen haben sich Angaben des Thüringer Umweltministeriums zufolge jüngst Wölfe mehreren Menschen genähert. Was kann das Verhalten der scheuen Tiere erklären?

Per se sind Tierbegegnungen mit Wölfen in Wolfsgebieten nicht ungewöhnlich. Im Falle der Nahbegegnung eines Hundehalters mit einem Wolf im Rudelrevier Neustadt im Thüringer Wald gab es eine besondere Situation. Hier musste zum Beispiel im August der Leitwolf des Rudels eingeschläfert werden. Das Tier wurde illegal beschossen und dabei schwer verletzt. In diesem Fall wachsen jetzt vier verunsicherte Jährlinge ohne Vater auf. Deswegen kann es bei der Nahrungssuche der unerfahrenen Jungtiere zu Nahbegegnungen kommen, und wie alle Jungtiere sind auch diese oft neugierig und unbedarft.

Wie reagiert das Umweltministerium in Erfurt auf die Wölfe?

Über ein Wolfsmonitoring – also eine strukturierte Überwachung – will das Ministerium jetzt mehr Informationen über die Tiere in dem Neustädter Rudel gewinnen. Im Vordergrund steht die Vermeidung von gefährlichen Situationen für den Menschen. Hier hat das Umweltministerium wohl schon erwogen, die Wölfe mit Gummigeschossen zu erschrecken. Eine sogenannte Vergrämung soll den Tieren zeigen: Mensch gleich Schmerzen gleich Gefahr. Dieses Szenario sorgt dann hoffentlich dafür, dass die Tiere grundsätzlich Abstand halten. Weil aktuell in Thüringen nicht nur ein Wolf, sondern auch zwei Luchse illegal abgeschossen wurden, fordern wir daher von der Landespolitik die Einrichtung einer Stabsstelle zur Bekämpfung von Umweltstraftaten. Daneben brauchen wir auch ein Herdenschutzzentrum, das proaktiv nicht nur an die Weidetierhalter herantritt, sondern auch den Herdenschutz kontrolliert. Denn wo dieser korrekt praktiziert wird, gibt es nachweislich keinen nennenswerten Schaden bei Weidetieren durch Wölfe.

In Thüringen ist somit das Umweltministerium für den Schutz der Art verantwortlich.

Ja, das Ministerium hat die hoheitliche Aufgabe, Wolfsmonitoring und -management durchzuführen. Dafür gibt es das »Kompetenzzentrum Wolf, Biber, Luchs«. Im Monitoring geht es um das Sammeln von Daten zur Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit. Weitere Aufgaben sind Prävention und Schadensausgleich für Weidetierhalter. Der Managementplan gibt konkrete Maßnahmen vor, unter anderem wie die Behörde zu verfahren hat, wenn Vergrämung oder Entnahme – also die gezielte Tötung eines Wolfes – erforderlich ist.

Silvester Tamás ist Sprecher der Landesarbeitsgruppe Wolf und Luchs beim Nabu Thüringen

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. 

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (30. September 2025 um 17:08 Uhr)
    Offensichtlich ist es nicht einfach, eine rationale Debatte zum »Wolf in Deutschland« zu führen. Sucht man mit Google »Problemwölfe«, muss man ganz schön weit blättern, um überhaupt auf Ansätze zur Klärung einer Begriffsdefinition zu gelangen. Die Google-KI hat keine Meinung dazu. Wie für den Menschen gilt auch für den Wolf: Jedes Kilogramm von ihnen bedeutet zwangsläufig ein Kilogramm weniger von nichtmenschlichem oder nichtwölfischem tierischem Leben, (Isaac Asimov, Die gute Erde stirbt, https://www.spiegel.de/politik/die-gute-erde-stirbt-a-90fc0b9b-0002-0001-0000-000043231120). Als Beispiel, wie man die Sache auch sehen kann, sei diese Seite empfohlen: https://wolfsschutz-deutschland.de/tag/problemwolf/ . Ein Zitat: »Man kann annehmen, dass Kriminelle es wohl eher auf den Vaterwolf GW1896m abgesehen hatten, da dessen Abschuss besonders vehement von einem Bioschäfer gefordert wurde, der selbst überhaupt keinen Wolfsriss zu verzeichnen hatte. Seither wurden viele Welpen des Rudels überfahren, man rief zur realen Verfolgung des Rudel in einem Waldgebiet auf und man forderte völlig ungeniert dazu auf, die Tiere mit Steinsalz in Schrotladungen zu beschießen. Steinsalz soll sich angeblich im Körper auflösen, die Tiere, wenn sie nicht gleich sterben, vergiften und später soll das Steinsalz nicht mehr nachweisbar sein. Auch zu Giftanschlägen mit Backzutaten rief man auf.«
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (30. September 2025 um 10:50 Uhr)
    »Denn erst der Abschuss erzeugt die Problemwölfe.« Der Sprecher der Landesarbeitsgruppe Wolf und Luchs beim Nabu Thüringen hat schon eine spezielle Art von Logik. Ein abgeschossener Wolf kann doch kein Problem mehr darstellen. Die ganze irrationale Liebe zum Raubtier Wolf läuft darauf hinaus, dass dessen Wohl und Wehe absoluten Vorrang hat. Die Weidetierhalter haben gefälligst für Herdenschutz zu sorgen, »denn wo dieser korrekt praktiziert wird, gibt es nachweislich keinen nennenswerten Schaden bei Weidetieren durch Wölfe« (Tamás). Aber selbst da gibt es Schäden, nur eben keine »nennenswerten«, alles eine Frage der Definition. Im übrigen widersprechen sich diese Tierschützer: Der Wolf an sich ist nicht das Problem, es gibt lediglich einzelne »Problemwölfe«. Warum dann der gigantische Aufwand, den man den Weidetierhaltern aufzwingt? Im Wikipedia-Artikel »Herdenschutz«, überwiegend aus der Sichtweise der Wolfsschützer geschrieben, wird der ganze Wahnsinn deutlich. Herkömmliche Umzäunungen und Nachtpferche sind für Wölfe kein Hindernis, aber selbst 120 cm hohe Elektrozäune wurden schon übersprungen. Und: »Da Wölfe ihre Welpen in selbst gegrabenen Erdhöhlen großziehen und auch bei der Nahrungssuche instinktiv graben können, ist unter jeder Art von Zaun ein Untergrabeschutz unentbehrlich.« Weil aber in der Schaf- und Ziegenhaltung Mobilzäune im Einsatz sind, ist hier ein Unterwühlschutz nicht möglich. Zum Thema Herdenschutzhunde heißt es im Abschnitt »Grenzen der Möglichkeiten«: »In der Schweiz gab es im Jahr 2018 bei einem Bestand von etwa 50 Wölfen und rund 200 Herdenschutzhunden im Alpenbogen rund 500 Wolfsrisse. Infolge der Beunruhigung durch die Wölfe werden die Kühe, besonders die Mutterkühe aggressiver gegenüber Menschen.(...) Im Jahr 2018 gab es im französischen Alpenbogen bei einem Bestand von etwa 500 Wölfen und mehreren Tausend Herdenschutzhunden im Einsatz rund 12500 Wolfsrisse.«
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Limassol (30. September 2025 um 13:20 Uhr)
      Lieber Franz S., unsere Welt ist voller Kompromisse. Und die leben nicht vom »entweder – oder«, sondern vom »sowohl – als auch«. Die Maxime »Wer nicht für uns ist, der ist gegen uns« ist nicht nur in der Politik unklug. Bei unserem Umgang mit der Natur kann sie sogar verheerende Folgen haben. Das ist zum Beispiel beim Umgang mit Pestiziden oder Neonikotinoiden ausreichend zu beobachten. Es besteht kein Grund, diese Erfahrungen auch im Umgang mit den Wölfen zu wiederholen. Unsere Welt ist groß genug sowohl für Menschen wie auch für Wölfe. Die dafür notwendigen Kompromisse stellen sich allerdings nicht von alleine ein. Sie müssen natürlich auch erst mühevoll gefunden werden. Geschossen ist schnell. Nicht nur bei Wölfen ist es deutlich besser, lange nachzudenken, ob es bessere Möglichkeiten gibt als Mord und Totschlag.

Regio: