Widerstand gegen Tesla 2.0
Von Michael Merz
Selten macht eine Pressemitteilung die richtig große Welle. Die meisten Verlautbarungen dieser Art dümpeln unbeachtet in den Posteingängen der Medienhäuser vor sich hin. Aber diese, am Montag vergangener Woche vom Verein für Natur und Landschaft (VNLB) aus Grünheide versandt, hatte es in sich. Und Brandenburgs Landesregierung tat alles, um ihre Brisanz noch zu verstärken. Der Inhalt: Der chinesische Technologiekonzern Dreame, bekannt für smarte Haushaltselektronik, hat die Absicht, in Brandenburg eine riesige Fabrik für Luxusautos mit E-Motor zu bauen. Brandenburgs Regierende hüllten sich zunächst in Schweigen – Geheimniskrämerei, die spätestens seit der Ansiedlung von Tesla wohlbekannt ist. Und gefürchtet, stets wurde die Bevölkerung vor vollendete Tatsachen gestellt.
Der Mantel des Schweigens war gelüftet. Mehrere Medien – insbesondere die ARD – berichteten. Und am Dienstag offenbarte sich Landeschef Dietmar Woidke während einer Pressekonferenz in Neubrandenburg dazu: »Es gibt Gespräche.« Und weiter sagte er laut RBB: »Wir haben in Brandenburg gute Erfahrungen damit gemacht, dass wir, solange es ging, die Sachen gut vorbereitet haben und in Ruhe. Und öffentliche Berichterstattung ist oft hilfreich, aber es gibt auch Situationen, da ist es nicht hilfreich.« Das war’s. Details sparte er sich. Übersetzt heißt das: Im Hinterzimmer wird alles in Stellung gebracht. Weitergehendes folgt dann per Herold als Beschlussverkündung.
»Unsere Presseerklärung hat schon Wirbel gemacht«, Steffen Schorcht von der VNLB klingt ein wenig stolz. Er ist ein alter Linker, zusammen mit der Vereinschefin Manuela Hoyer ist es sein Anliegen, zu vernetzen – Bevölkerung wie Medien, aber auch andere Initiativen, etwa »Tesla den Hahn abdrehen«. Vor allem will er dem Raubbau an der Natur nicht tatenlos zusehen. »Wir wollen eine andere Wirtschaftspolitik, eine, die nicht auf der Zerstörung von Natur beruht«, sagt er im Gespräch mit der jungen Welt – draußen am Wald, beim frischgebrühten Kaffee in seinem Häuschen in Erkner. Seine Quelle: der chinesische Konzern. Er ist weitaus auskunftsfreudiger als die brandenburgische Politik. Ein französischer Journalist hatte Schorcht auf eine vom Dreame-Konzern verbreitete Presseinformation aufmerksam gemacht. Auf einem US-Portal wurde sie am 11. September verbreitet: Ein Team des Konzerns um den Gründer und CEO Yu Hao sei auf Standortsuche für die Produktionsstätte der Supersportwagen gewesen. Wörtlich heißt es weiter: »Infolgedessen erwägt die Marke die Errichtung eines Produktionswerks in Brandenburg. Der Standort wird es Dreame Cars ermöglichen, die ausgereifte lokale Lieferkette dieser Region für wichtige Automobilkomponenten zu nutzen, den Forschungs- und Entwicklungszyklus erheblich zu verkürzen, die Logistikkosten zu senken und gleichzeitig ein effizientes Netzwerk in ganz Europa sicherzustellen.«
Bei Steffen Schorcht schrillten die Alarmglocken. Denn nahe der Tesla-Gigafactory solle dieser Standort sein und zudem größer als die Fabrik von Multimilliardär Elon Musk in Grünheide, hieß es in einer weiteren Wirtschaftsmeldung. Die Befürchtung: Ein südöstlich von Fürstenwalde liegendes Gebiet ist vorgesehen. An ihm hatte BMW offenbar in den 1990er Jahren schon einmal Interesse bekundet, dann wieder das Weite gesucht. Und: Das Land und zwei Kommunen – Fürstenwalde und Scharmützelsee – haben in diesem Sommer bereits bekundet, es als »großflächigen industriell-gewerblichen Standort« auszuweisen. Tesla 2.0? Die Nachtigall trapst ziemlich laut.
Ortstermin in Berkenbrück. Hier zeigt sich Brandenburg von seiner besonders schönen Seite. Selbst jenseits der Ferienzeit kommt entspanntes Urlaubsfeeling auf. Ein Kiesweg führt zum klaren Wasser der Spree, die hier nur ein paar Meter breit ist, Trauerweiden, eine Ausflugsgaststätte mit Terrasse, ein Steg führt in den Fluss. Zum Baden ist es leider schon zu kalt, aber der Name »Strandidyll« trifft ins Schwarze. Auf der anderen Seite des Wassers ist dichter Urwald, ein Fauna-Flora-Habitat. Dahinter könnte sie bald hochgezogen werden, die Fabrik für Dreame-Luxusschlitten im Bugatti-Stil. Die Fahrzeuge würden hier in die Region passen wie Horst Krauses Motorradgespann auf den Rodeo Drive in Beverly Hills.
Stephan Wende sitzt für die Partei Die Linke in der Stadtverordnetenversammlung von Fürstenwalde. Ihm war es vor einigen Monaten etwas eigenartig vorgekommen, dass östlich der Stadt das Planverfahren für ein 240 Hektar großes Gewerbe- und Industriegebiet beschlossen wurde. Das Gelände ist begrenzt durch eine Bundesstraße, die Autobahn 12 und die Spree. Die Natur ist hier sehr ungestört. Der Ausweisung wurde mehrheitlich zugestimmt. Stephan Wende war dagegen. »Uns wurde versichert, dass es bisher keinen Interessenten für eine Ansiedlung geben würde«, so der Lokalpolitiker im jW-Gespräch.
Flugs gründete sich die Bürgerinitiative »Walderhalt Spreetal«, die seither mobil macht gegen eine mögliche Bebauung. »Denn das wäre ein massiver Eingriff in die Natur, zuviel Waldfläche muss dafür vernichtet werden«, befürchtet Wende. Und dringend benötigtes Wasser der Spree, das eh zu wenig vorhanden sei, würde weiter dezimiert. Laut der BI, die mit Protestaktionen und Waldspaziergängen informiert, könnte das Industriegebiet mehr als 400 Hektar groß werden – rund ein Viertel mehr als das Tesla-Gelände in Grünheide. Die letzte Woche bekannt gewordene Absichtserklärung des Dreame-Konzerns zur Produktion in Brandenburg hat die Naturschützer erst recht aufgeschreckt. »Brandenburg muss sich entscheiden, wohin es sich entwickelt – Urlaub machen am Märkischen Meer, dem Scharmützelsee, funktioniert einfach nicht mehr, eingebettet zwischen zwei riesigen Autofabriken«, sagt Wende.
Auf jW-Anfrage Ende vergangener Woche gab die zuständige Landesbehörde nur eine Standardantwort preis: »Das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Energie und Klimaschutz des Landes Brandenburg äußert sich grundsätzlich nicht zu Berichten über etwaige Wirtschaftsansiedlungen.« Und auch die IG Metall ist wenig auskunftsfreudig. Jan Otto, Bezirksleiter Berlin, Brandenburg und Sachsen, erklärte zum Interesse des chinesischen Konzerns Dreame an einer Ansiedlung, dass man sich nicht an den Spekulationen beteilige. »Grundsätzlich gilt: Wir begrüßen es, wenn die Autoindustrie in Brandenburg weiter ausgebaut wird. Die Entscheidung von Tesla für den Standort Grünheide war ein wichtiger Fortschritt«, meint er.
Steffen Schorcht von der VNLB kommt das alles bekannt vor – das Abwiegeln der Landespolitik und die Deals, die erst verkündet werden, wenn die Tinte unter dem Vertrag trocknet. Bürgerbeteiligung? Da kann er nur schmunzeln. Beispiel: Bei einer Befragung in Grünheide 2024 hatte sich eine Mehrheit gegen die Pläne von Tesla ausgesprochen, die »Gigafactory« weiter auszubauen. Der Gemeinderat votierte dann trotz Protesten und Volksabstimmung für eine noch größere Elektroautofabrik. »Und die neue Landesstraße, die Autobahnauffahrt, den neuen Bahnhof – das bezahlen alles wir, während Tesla seine radikale Steuervermeidungsstrategie fährt«, so Schorcht. »Das kann doch nicht Ziel sozialdemokratischer Politik sein.« Für ihn ist die Gigafactory die Blaupause für eine mögliche Dreame-Ansiedlung. Wie es weitergeht? Ein großes Vernetzungstreffen mit »Tesla den Hahn abdrehen« steht an, Alt und Jung seien dabei, freut sich Schorcht.
Zurück in Berkenbrück. Eine Oma ist mit ihrer Enkelin auf dem Spielplatz des »Strandidylls«. »Hoffentlich muss ich nicht noch miterleben, dass es soweit kommt und hier nebenan der Wald plattgemacht wird«, sagt sie. Ihr gehe es vor allem um ihre Kinder – die Zukunft der Kleinen da auf dem Klettergerüst stehe auf dem Spiel. »Wir müssen die Natur doch bewahren, so schön wie es hier ist.« Doch so schnell wie Elon Musk Hand in Hand mit Brandenburgs SPD die Gigafactory hochgezogen und die Umgebung nach ihrem Gutdünken angepasst haben – da kann es ganz schnell vorbei sein mit dem Idyll an der Spree.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (29. September 2025 um 22:57 Uhr)Was ist nahrhafter? Eine Kiefer, ein Tesla oder ein Dreame-Luxusschlitten im Bugatti-Stil? Einen kleinen Unterschied gibt es: Die Kiefer steht vierundzwanzig Stunden am Tag, der Tesla oder Dreame-Luxusschlitten nur zweiundzwanzig.
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