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Aus: Ausgabe vom 16.09.2025, Seite 8 / Ausland
Wohnungskrise in Spanien

»Hauptproblem bleibt die Kontrolle«

Spanien: Föderalismus verhindert wirksames Vorgehen gegen illegale Vermietung. Ein Gespräch mit José Mansilla
Interview: Carmela Negrete
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In Barcelona gibt es über 10.000 legale Ferienwohnungen, doch für Einheimische wird der bezahlbare Wohnraum knapp (15.6.2025)

Die Vermietungsplattform Airbnb hat angekündigt, in Spanien illegale Angebote für Ferienwohnungen zu entfernen. Wie bewerten Sie das?

Das ist ein Fortschritt, aber an der Realität ändert sich wenig. Hauptproblem bleibt die Kontrolle: Es gibt zu wenige Inspekteure. Katalonien will zwar neue einstellen, doch solange bleibt der Vollzug schwach. Dabei wäre es einfach: Jede Lizenz hat eine Registrierungsnummer, abrufbar auf der Website der Regionalregierung. Ich habe vor Jahren selbst im Auftrag der spanischen Regierung Daten ausgewertet, um illegale Wohnungen in Barcelona zu identifizieren. Damals tauchten plötzlich überall Ferienwohnungen auf. Kurz darauf wurde eine Regel eingeführt: Ohne offizielle Nummer darf keine Wohnung angeboten werden. Wer dagegen verstößt, riskiert Bußgelder. Das hat viele abgeschreckt und den Markt gebremst.

Können Sie konkrete Zahlen nennen?

In Barcelona gibt es rund 10.000 legale Ferienwohnungen. Zusätzlich existieren mehrere tausend illegale, deren Zahl jedoch schwankt, da Plattformen Angebote rasch entfernen und ebenso schnell wieder einstellen. Zwischen 600 und 1.000 Wohnungen sind zwar registriert, aber dennoch wegen Unregelmäßigkeiten sanktioniert. Häufig steckt ein Geflecht komplizierter Lizenzen dahinter. In Andalusien etwa werden auffallend viele Genehmigungen vergeben, das Ministerium greift jedoch nur bei klaren Verstößen ein. Spanien ist wie Deutschland föderal organisiert: 17 autonome Regionen mit eigenen Regeln und ein zentrales Ministerium, das nur begrenzt eingreifen kann. Das führt zu zahlreichen Widersprüchen und verhindert eine kohärente nationale Strategie.

Sie forschen zu Tourismus und urbanen Konflikten. Wie beurteilen Sie die aktuellen Entwicklungen?

2024 haben wir ein Buchkapitel und mehrere Artikel veröffentlicht, die sich mit den Folgen der Coronapandemie auf Wohnungs- und Tourismuspolitik befassen. Derzeit arbeite ich an einem Beitrag zu Kurzzeitvermietungen und Expats. Auffällig ist, dass die verstärkte Überwachung des Mietmarkts mittlerweile auch Ferienwohnungen betrifft. In Katalonien wird deutlich strenger kontrolliert. Dennoch bleibt eine regulatorische Lücke: Kurzzeitverträge bis elf Monate fallen nicht unter das Wohnungsgesetz von 2023. Viele Vermieter nutzen das, um langfristige Mietregeln zu umgehen.

Das hat gravierende Folgen: Verträge unter zwölf Monaten müssen sich nicht am Mietspiegel orientieren, Mietobergrenzen lassen sich umgehen. Mieter zahlen so deutlich mehr, oft ohne es zu wissen. In manchen Stadtteilen werden bis zu 60 Prozent der Wohnungen so vermietet. Diese Entwicklung treibt die Preise weiter hoch und verschärft die Wohnungsnot. Das Wohnungsgesetz sollte Abhilfe schaffen, doch Saison- und Kurzzeitverträge blieben ausgespart – eine Entscheidung, die viele Schlupflöcher offenlässt.

Auch in Spanien kaufen heute viele Menschen nicht mehr, sondern mieten. Liegt das an den steigenden Preisen?

Ja. Die Immobilienpreise sind für viele einfach nicht mehr bezahlbar. Für eine Wohnung im Wert von 300.000 Euro braucht man rund 90.000 Euro Eigenkapital – das ist für junge Menschen praktisch unmöglich. Sie sind daher gezwungen, zu mieten, und stoßen dabei auf einen Markt, der durch Kurzzeitverträge zusätzlich belastet wird. Zwar gibt es staatliche Kreditlinien, die beim Erwerb helfen sollen, doch das bedeutet doppelte Verschuldung: gegenüber der Bank und der Regionalregierung. Theoretisch öffnet das den Zugang zum Eigentum, praktisch bleibt er unerschwinglich. Wer dennoch kauft, trägt häufig lebenslange Schulden. Zudem muss man früh beginnen, denn später sind Kredite kaum noch zu bekommen. Die Folge ist eine Generation, die weder Eigentum erwerben noch bezahlbar mieten kann – ein zentrales soziales Problem Spaniens.

José Mansilla ist Anthropologe und lehrt unter anderem an der Autonomen Universität Barcelona. Er forscht zu Tourismus, urbanen Konflikten und sozialer Exklusion

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