»Das Problem ist der Drang zum Rentierdasein«
Interview: Carmela Negrete
Berichten zufolge sollen in Spanien etwa 60.000 Wohnungsinserate für illegale Touristenunterkünfte gelöscht werden. Welche Probleme verursachen Ferienwohnungen?
Sie verschärfen die Wohnkrise. In Barcelona gibt es zum Beispiel mehr als 10.000 legale Ferienwohnungen. In manchen Küstenregionen machen sie bis zu 50 Prozent des verfügbaren Angebots aus. Sie werden aber nicht von Einheimischen, sondern von Touristen bewohnt. Das führt zu steigenden Miet- und Immobilienpreisen. Studien zeigen, dass allein die Airbnb-Aktivität die Mieten um bis zu sieben Prozent und die Kaufpreise um bis zu 17 Prozent erhöhte.
Wie kam diese große Wohnungsnot zustande?
Spanien gehört weiterhin zu den OECD-Ländern mit der höchsten Zahl an Wohnungen pro Einwohner, also über 550 pro 1.000 Menschen. Viele davon werden aber nicht zum langfristigen Wohnen genutzt, sondern dienen als Ferienwohnungen, saisonale Unterkünfte oder stehen leer. Weniger als zwei Prozent der Wohnungen gehören dem Staat. Reguliert ist der private Markt außerdem kaum. Deswegen braucht es jetzt klare Regeln, damit Wohnungen nicht nur Profitmaximierung zweckentfremdet werden, sondern primär den Einheimischen zum dauerhaften Wohnen dienen können.
Was hat sich mit der progressiven Regierung Spaniens geändert?
Es wurde ein Wohnraumgesetz verabschiedet, das die Regulierung der Mietpreise vorsieht – das ist eine gute Nachricht. Aber die Saisonvermietung hat die Regierung nicht reguliert. Da diese Mietverträge im Grunde aber eine rechtliche Grauzone darstellen, können hier Eigentümer richtig abkassieren. Und das ist insbesondere in Städten wie Barcelona ein Problem, da dort diese Form der Vermietung oft als Hintertür für Wucher genutzt wird. Barcelona hat unter der damaligen Bürgermeisterin und früheren Mietaktivistin Ada Colau erstmals ernsthaft in öffentlichen Wohnraum investiert. Es wurden verschiedene Richtlinien gegen Hotels und den Bau von Ferienwohnungen verabschiedet. Ab 2028 zum Beispiel wird es in Barcelona keine neuen Ferienwohnungen mehr geben. Aber viele der Gesetze gegen Spekulation müssen auf nationaler Ebene beschlossen werden.
Wofür setzten Sie sich ein?
Wir fordern eine Mietpreisbremse, die Preise auch deutlich senkt, außerdem längere und unbefristete Mietverträge sowie die Rückgewinnung von Wohnraum, der nicht zum dauerhaften Wohnen genutzt wird. Dann Maßnahmen wie in Amsterdam: Gekauft werden darf nur eine Wohnung, wenn man selbst darin wohnen will. Obendrein brauchen wir einen viel größeren öffentlichen Wohnungsbestand. Dieser Zuwachs muss nicht durch Neubau erfolgen, sondern auch durch den Erwerb bestehender, derzeit privater Wohnungen.
Unterstützen Sie die Proteste gegen die Touristenflut?
Wir finden das richtig. Einer der Hauptgründe für die Wohnraumkrise ist die touristische Nutzung. Unser Problem ist dabei nicht der einzelne Tourist, sondern ein auf Tourismus und Immobilienentwicklung basierendes Wirtschaftssystem, aus dem extrem prekäre Arbeitsplätze resultieren.
Diese Problematik wird sich nicht durch individuelle Entscheidungen lösen. Es braucht in erster Linie klare gesetzliche Regelungen. Spanien muss die Ferienvermietung regulieren – und auch den Immobilienhandel. Wie kann es sein, dass es auf den Balearen fast mehr deutsche als einheimische Eigentümer von Wohnraum gibt? Das ist absurd.
Welche Rolle spielen Investmentfonds?
2013 wurde in Spanien die Gesetzgebung geändert, um Investmentfonds den Eintritt in den Immobilienmarkt zu erleichtern – mit katastrophalen Folgen: Sie haben ganze Gebäude gekauft, Mieter rausgeworfen, dann wieder verkauft oder drastisch die Mieten erhöht. Ihr Verhalten hat das ganze Marktverhalten beeinflusst. Auch kleinere Eigentümer haben begonnen, sich wie Investmentfonds zu verhalten. Das zugrundeliegende Problem ist der Drang zum Rentierdasein. Momentan lohnt es sich mehr, Miete zu kassieren, als selbst produktiv zu arbeiten. Um die Wohnungsfrage zu lösen, muss das beendet werden.
Carmen Arcarazo ist Sprecherin der katalanischen Mietergewerkschaft »Sindicat de Llogateres«
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