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Aus: Ausgabe vom 08.09.2025, Seite 8 / Inland
Bäder-Misere in Thüringen

»Niveau der Versorgung ist eine politische Entscheidung«

Thüringen: Saisonales Gefälle beim Zugang zu Bädern. Weitere Anlagen vor dem Aus. Ein Gespräch mit Lutz Thieme
Interview: Andreas Müller
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Die Bäder stellen im Rahmen der deutschen Sportstättenmisere eine besonders neuralgische Komponente dar. Vor diesem Hintergrund haben Sie die Bädersituation in Thüringen jüngst gründlich analysiert. Was ist Ihnen besonders aufgefallen?

Die Situation hier ist, gemessen an Erkenntnissen über den bundesdeutschen Durchschnitt, recht speziell. Es zeigt sich ein »Sommer-Winter-Gefälle«. Mit über 70 Prozent dominieren eindeutig die Freibäder, die bundesweit nur knapp 40 Prozent ausmachen. Hinzu kommen in Thüringen rund sieben Prozent Naturbäder, also Bade- oder Baggerseen, während das Segment der Hallen-, Freizeit-, Kombi- und Schulbäder ungefähr 22 Prozent ausmacht – im großen Unterschied zum Bundesdurchschnitt, wo die sogenannten Nicht-Freibäder über 51 Prozent ausmachen.

Das heißt, es fehlt hier an Hallenbädern und Indoor-Varianten?

Verglichen mit Freibädern tendenziell ja, aber derartige Rückschlüsse wären zu pauschal und eindimensional. Kenntnisse über den Versorgungsgrad lassen sich nicht allein mit der Anzahl eines bestimmten Bädertyps gewinnen. Dafür braucht es weitere Kriterien wie das Ausmaß von Wasserflächen, ihre Erreichbarkeit oder die Öffnungszeiten der Bäder. Ganz wichtig ist der Blick auf ihre räumliche Verteilung. Gerade diesen Aspekt gilt es viel mehr zu berücksichtigen als bisher.

In einer Stadt wie Gera gibt es kein einziges Freibad, weniger gut sieht es damit ebenfalls im umliegenden Landkreis aus. Ähnlich unbefriedigend ist die Freibadsituation in Jena und der näheren Umgebung, während Jena mit Wasserflächen in der Halle gut versorgt ist – ebenso die Regionen in Hildburghausen, im Eichsfeld und im Altenburger Land. Kann man also der Jenaer Bevölkerung zumuten, im Sommer in die Freibäder der Umgebung zu fahren – und den Einwohnern aus dem Umland, im Winter ins Hallenbad nach Jena? Das sind Fragen für die Kommunalpolitik vor Ort, die nunmehr datenbasiert diskutiert werden können.

Also Zumutbares ausloten, statt neu zu bauen oder zu sanieren?

Letztlich ist das Niveau der Versorgung mit Bädern immer eine politische Entscheidung. Unsere Erhebung trägt bei, den Kommunen dafür eine bessere Grundlage zu bieten, Wechselwirkungen zu bedenken und Synergien zu ermöglichen. Das gilt genauso für die drei Schulschwimmbäder in Schmalkalden-Meiningen, in Gera und im Altenburger Land sowie für die 252 Lern- und Kursbecken fürs Schwimmenlernen. Dabei ist die Verteilung zwischen Tief- und Flachwasserbecken auch historisch begründet. In den alten Ländern erlernten die Kinder das Schwimmen eher in Flachwasserbecken, in der DDR tendenziell im tiefen Wasser. Würde das traditionell so beibehalten, wären relativ wenige Flachwasserschwimmbecken kein Problem, wenn genügend Tiefwasser-Wasserflächen vorhanden sind.

Die »Bäderallianz« beklagte jüngst, dass etwa seit dem Jahr 2000 von rund 7.800 Schwimmbädern nur noch rund 6.000 Hallen- und Freibäder übrigblieben und weitere rund 800 vor dem Aus stehen. Was müsste passieren?

Um das zu verhindern, fordert die »Bäderallianz« vom Bund, in den nächsten zwölf Jahren jährlich eine Milliarde Euro für die Bäder bereitzustellen. Unabhängig von ihrer Höhe führen Fördergelder immer zur Frage, wie sie verteilt werden sollen. Antworten darauf sind meines Erachtens ohne gründliche Analyse der Verhältnisse in den einzelnen Landkreisen nicht zu haben. Die Ergebnisse unserer Erhebung für Thüringen zum Beispiel werden dort in einen Bäderentwicklungsplan einfließen, um in die Bäderstruktur möglichst bedarfsgerecht zu investieren.

Haben schon andere Länder bei Ihnen angefragt?

Thüringen war das erste Bundesland, das Interesse signalisierte. Wir haben aber auch schon von Befürchtungen gehört, bei einem möglichen Vergleich zwischen Bundesländern nicht gut abzuschneiden und so unter Handlungsdruck zu geraten. Ein Kollege hat dies einmal als »präventive Wirkung des Nichtwissens« bezeichnet.

Lutz Thieme leitet seit 2001 den Studiengang Sportmanagement an der Hochschule Koblenz

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