Alternativen ungenutzt
Von Susanne Knütter
Vergangenen Herbst hat die Kapitalseite einen Generalangriff auf die Arbeiterschaft gestartet, und die Gewerkschaften haben dem – bis auf die Aushandlung von ein paar Zugeständnissen – nichts entgegengesetzt. Mit dem Kürzungsplan bei VW hatte eine Serie begonnen. Am Freitag reihten sich zwei weitere Abschlüsse ein: Die Belegschaften von Thyssen-Krupp Steel und Ford stimmten den Übereinkünften von IG Metall und dem jeweiligen Management zu, die zu umfassendem Stellenabbau und Lohnkürzungen auf der Seite der Lohnabhängigen und zu gesicherten Profiten auf der Seite der Eigentümer führen.
Die Urabstimmung unter den IG-Metall-Mitgliedern des Kölner Ford-Werks ergab eine Zustimmung von 93,5 Prozent bei einer Wahlbeteiligung von 80,9 Prozent zu dem Kompromiss zwischen Gewerkschaft und Geschäftsführung vom Juli. Demnach werden bis Ende 2027 insgesamt 2.900 Arbeitsplätze von zuletzt 11.500 abgebaut. Also jede vierte Stelle. Die Beschäftigten, die freiwillig gehen, bekommen vergleichsweise hohe Abfindungen. Sollte ihr Arbeitsplatz verlagert werden, sollen sie nicht schlechtergestellt werden. Auch die Möglichkeit zu Altersteilzeit gibt es. Welche Stelle wann wegfällt, besprechen Betriebsrat und Geschäftsführung in den kommenden Monaten noch im Detail. Auf betriebsbedingte Kündigungen werde vorerst verzichtet, ausgeschlossen sind sie aber nicht. Dieses »Sicherheitsnetz« gilt bis 2032 und soll die Belegschaft vor einer theoretisch möglichen Insolvenz der Deutschland-Tochter des US-Autobauers schützen. Tritt dieser Fall ein, würden die Beschäftigten Geld von der Ford Motor Company bekommen.
Seit 2006 hatte eine sogenannte Patronatserklärung dafür gesorgt, dass der US-Mutterkonzern Verluste der deutschen GmbH ausgleicht. Die jahrelangen Verluste allerdings waren laut IG Metall selbst Resultat von Managemententscheidungen in den USA und deren Verlustverteilung insgesamt. Im März hatte Ford die Patronatserklärung aufgekündigt und damit klargemacht, dass die Ford-Werke in Köln, wo ausschließlich Elektroautos hergestellt werden, abgewickelt werden sollen. Die nun abgesegnete Einigung ist der Anfang davon.
Alles andere als eindeutig war die Zustimmung der IG-Metall-Mitglieder in der Stahlsparte von Thyssen-Krupp (TKSE). Nur 62 Prozent von ihnen nahmen überhaupt an der Abstimmung über den Sanierungsvertrag teil. 77 Prozent davon stimmten schließlich für die Einigung. Knut Giesler, IG-Metall-Bezirksvorsitzender von NRW und Verhandlungsführer, dankte den Kollegen im Anschluss, dass sie »nicht vor allem an sich gedacht haben, sondern wissen, dass diese Einschnitte nötig sind, um die Stahlsparte zukunftsfest aufzustellen«.
Der im Juli ausgehandelte Sanierungstarifvertrag soll bis zum Ende des Geschäftsjahres 2029/30 gelten und sieht eine Reduzierung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich und die Streichung des Urlaubsgeldes vor. Auch andere Zahlungen sollen abgeschwächt werden, etwa das Jubiläumsgeld, das bei besonders langer Betriebszugehörigkeit gezahlt wird. Der Zuschlag für eine Rufbereitschaft soll halbiert werden. Laut IG Metall belaufen sich die Einbußen für die Beschäftigten jährlich auf insgesamt rund 120 Millionen Euro. Die Muttergesellschaft Thyssen-Krupp AG wolle im Gegenzug in die Modernisierung von Standorten investieren. Wann das geschieht, ist noch offen. Die Gewerkschaft betonte, dass sie erst dann den Tarifvertrag unterzeichnen werde.
Das Angebot von Stahl ist international größer als die Nachfrage danach. Dominiert wird der Markt von China. Um die Profite der Aktionäre in diesem Konkurrenzkampf so gut es geht zu sichern, will Thyssen-Krupp neben dem Lohneinsparungsprogramm außerdem seine Stahlkapazitäten deutlich verringern – von 11,5 Millionen Tonnen pro Jahr auf 8,7 bis neun Millionen Tonnen. Betriebsbedingte Kündigungen sind auch bei TKSE erst einmal nicht vorgesehen. Trotzdem sollen 11.000 von derzeit 26.000 Stellen unwiederbringlich gestrichen werden.
Die IG Metall hätte noch eine andere Option gehabt: Und zwar den Kampf um einen größeren Anteil der Lohnabhängigen an dem von ihnen produzierten Mehrwert. Das heißt: Streik für Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Die Gewinne für die Aktionäre wären dann kleiner. Dafür blieben die Arbeitsplätze erhalten.
Aber den Kampf um Arbeitsplätze führt die Gewerkschaft offensichtlich lieber an anderer Stelle. So forderte der zweite Vorsitzende der IG Metall, Jürgen Kerner, aus Anlass der Ankündigung eines weiteren Stahlgipfels, »umgehend wirksame Zollregelungen auf EU-Ebene«, um »die Stahlarbeitsplätze in Deutschland vor dem Dumpingstahl aus China und Russland zu schützen«.
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