Rosen auf den Weg gestreut
Von Matthias Rude, Tübingen
Einen besseren Wahlkampfauftakt hätte die AfD sich nicht wünschen können. Am Freitag bereitete Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer ihrem Spitzenkandidaten Markus Frohnmaier die große Bühne. Mit Blick auf die Landtagswahl in Baden-Württemberg im kommenden März sei das von einem Medienspektakel begleitete »Streitgespräch« zwischen Palmer und ihm eine »großartige Geschichte«, so Frohnmaier, den noch im Juli erst 14 Prozent der Menschen im Bundesland überhaupt kannten.
In Tübingen bekam die AfD bisher keinen Fuß in die Tür. Bei der Bundestagswahl kam sie in der Universitätsstadt nur auf 6,5 Prozent. Im Juli wollte sie zum ersten Mal überhaupt hier demonstrieren, angemeldet waren lediglich 35 Teilnehmer. Auf Palmers Initiative hin verzichtete die Partei auf die Kundgebung, statt dessen wurde eine Podiumsdiskussion in der größten Halle der Stadt vereinbart. AfD-Teilnehmern wurden 100 Plätze zugesichert – eine deutliche Aufwertung gegenüber der zunächst geplanten Kundgebung.
Gegen die Veranstaltung richteten sich am Freitag mehrere Protestaktionen an verschiedenen Orten in der Stadt. Allein vor dem Veranstaltungsort versammelten sich 2.000 Demonstranten. In Redebeiträgen wurde Palmers »fauler Deal« kritisiert. »Ohne Notwendigkeit« hofiere er die AfD. Deren Kundgebung hätte als »kurzer und kläglicher Versuch« vom antifaschistischen Protest verhindert werden können – nun rolle Palmer ihr den roten Teppich aus.
Ein Redner meinte, die Veranstaltung diene einzig der Selbstdarstellung des medienaffinen Kommunalpolitikers. »Narzisstische Egomanie« als »Methode« hatte Claudia Roth Palmer 2019 attestiert, als sie ihm nahelegte, die Grünen zu verlassen. Sein Unverständnis über die Ablehnung seines »Angebots«, auf der Protestkundgebung zu sprechen, die sich gegen ihn selbst und seine Veranstaltung richtete, unterstreicht das. »Rederecht für die Antifa, aber nicht für den gewählten Oberbürgermeister«, lamentierte er. Die Absage hielt ihn indes nicht ab, bei der Gegenkundgebung vor den Pressekameras zu posieren. Schon im Vorfeld hatte er den Medienrummel befeuert, etwa mit KI-generierten Bildern von sich und Frohnmaier als kämpfende Gladiatoren im Kolosseum.

Was die Springer-Presse als Palmers »großes AfD-Duell« ankündigte, war mehr Tübinger Provinzposse als historisches Ereignis: ein Aufeinandertreffen in einer Turnhalle mit einigen leeren Stuhlreihen, begleitet von lautstarken Protesten und chaotischen Szenen. Die Debatte, die sich um Themen wie Meinungsfreiheit, Klimapolitik, Migration und innere Sicherheit drehte, wurde durch Sprechchöre und andere Störungen immer wieder unterbrochen. Zahlreiche Zuschauer verließen demonstrativ den Saal, 30 entfernte die Polizei.
Statt die AfD zu »entzaubern«, bot Palmer einem Rechtsradikalen die Möglichkeit, sich als dialogbereiter »Demokrat« zu inszenieren. Verbindungen Frohnmaiers zu neofaschistischen Größen und Organisationen wie Alexander Dugin oder der »German Defence League« – für Palmer keine Nachfrage wert. Die Zitate anderer AfD-Politiker, die er ins Feld führte, konnte Frohnmaier triumphierend mit dem Verweis auf Palmers eigene rassistische Ausfälle kontern.
Frohnmaiers Behauptung, die AfD-Forderung nach »Remigration« betreffe ausschließlich Menschen mit Duldung, übernahm Palmer ohne Widerspruch – das sei nun »enttäuschend für diejenigen, die weiter die AfD als Nazis bezeichnen wollen«, meinte er im Nachgang. Erst am Tag zuvor hatte der Spiegel Frohnmaier mit den Worten zitiert: »Wir werden abschieben, bis die Startbahnen glühen.«
»Ein Gespenst geht um in Deutschland«, sagte der Rhetorik-Professor Joachim Knape, der den Dialog moderierte. Er meine damit »Weimarer Verhältnisse«. Damals sei »jede Veranstaltung in eine Saalschlacht umfunktioniert« worden. Zwei Jahre vor dem Ende der Weimarer Republik schrieb Kurt Tucholsky in einem seiner bekanntesten und bittersten Gedichte über die deutschen Faschisten: »Wenn sie in ihren Sälen hetzen, sagt: ›Ja und Amen – aber gern!‹«. 2025 stellt Tübingen ihnen sogar den Saal dafür bereit.
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