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Aus: Ausgabe vom 06.09.2025, Seite 4 (Beilage) / Wochenendbeilage
jW-Maigalerie

Eine gute Lupe

»Wir sehen rot!« – Die Werkschau des Künstlerkollektivs Rotes Atelier in der jW-Maigalerie
Von Christophe Immer
»Die Kunst der Unterdrückten ist überall, nur nicht dort, wo die Herrschenden sie möchten. Auf Häuserwänden und Flugblättern, auf Zügen und Transparenten. Da, wo der Widerstand sich regt.« – Aus dem Selbstverständnis des Roten Ateliers
Das Bild »npa2005« von lemob über die philippinische New People’s Army (Acryl auf Leinwand)
»Politische Kunst ist ein Mittel der Unterdrückten, die Welt mit dem Bewusstsein zu durchdringen und sie sich auf schöpferische Art und Weise anzueignen.« – Aus dem Selbstverständnis des Roten Ateliers
Der Hamburger Plakatkünstler Der Gauna hat den Anspruch, Propaganda als Handwerk zu verstehen und zeitgemäß einzusetzen (oben) Gemälde »npa2005« von Lemob über Frauenliebe in der Guerilla auf den Philippinen (rechts)
Plakat von Der Gauna
Vernissage am 15. August 2025 in der jW-Maigalerie in Berlin
Das Rote Atelier vereint Künstlerinnen und Künstler, die mit Hilfe ihrer materialistischen Weltanschauung und der Praxis der Kunst die Welt tiefgreifend verändern wollen

Unter dem Namen »Rotes Atelier« hat sich ein Kollektiv junger Künstlerinnen und Künstler zusammengefunden, die im deutschsprachigen Raum in sozialen Bewegungen, linken Organisationen und Parteien aktiv sind. Es eint sie das Verständnis, dass politische Kunst Erkenntnisinstrument, Propaganda und Agitation ist. Die gemeinschaftliche Werkschau bietet keine kuratorische Stringenz, doch gerade das ist eine Stärke. In der Ausstellung präsentiert sich die ganze Vielfalt visueller Darstellungsweisen: Malerei, Druckgrafik, Collage, dokumentarische Videokunst, klassisch anmutende Reportagefotografie, Installation. »Wir sehen rot!«, die erste Werkschau des Kollektivs, ist in den Räumen der jW-Maigalerie in Berlin-Mitte noch bis zum 19. September zu sehen.

Geradezu klassisch anmutende Reportagefotografie widmet sich den »Streets of St. Pauli«, so der Titel der anonym ausgestellten Bilderserie. Zu sehen sind Demonstrationen (zu Kurdistan, zu Palästina) und diverse Graffiti im städtischen Raum. Fotografien von Mackermaus zeigen ähnliche Motive: eine Serie zu jungen Teilnehmenden der Luxemburg-Liebknecht-Demo in Berlin, in Schwarz gekleidet, mit roten Schlauchschals und ob der latenten Gewaltankündigung der Berliner Polizei so bedroht wie bedrohlich wirkend. Diese zwei, obwohl in Farbe, entfernt an Jürgen Henschel erinnernden Arbeiten werden durch die internationalen Perspektiven von Max Lasse ergänzt. Reportagefotografie aus Athen, anlässlich des Jahrestags der Novemberkämpfe dort, sowie Bilder aus der Westsahara, die internationalen Widerstand international dokumentieren.

Im Bereich der Druckgrafik ist das politische Plakat das dominierende Medium. Die Arbeiten von Lina spielen mit Klischees des »Weiblichen«. Detailreich und geradezu opulent wirken ihre Demonstrationsplakate. An eine Wandzeitung erinnert »Symbols of Palestine« von ­M4 Randale: klar gestaltete, textlastige Motive, die Symbole des palästinensischen Befreiungskampfes erläutern. Neben dem aktuellen Militarismus ist Palästina auch ein Schwerpunkt des Hamburger Künstlers Der Gauna, dessen Plakate, Linoldrucke, Collagen durch ihre gestalterische Klarheit begeistern.

Beeindruckend auch die Arbeiten des migrantisch geprägten Kollektivs Studio+209 und ihre eigenständige typographische Sprache. Eine dokumentarische Videoarbeit von Joana Georgi wiederum blickt auf aktuelle Diskussionen im Kontext der gewerkschaftlichen Linken. Für ein großformatiges Poster des Künstlers sozi36 wünscht man sich eine ebenso große Lupe, um die winzige, das ganze Plakat bedeckende Schrift zu entziffern. Es handelt sich um den Text von Marxens »Das Kapital. Band I«. Komplett. Darauf, in Rot gesprüht: »tldr fuck capitalism«, also die im Internet gebräuchliche Abkürzung für »too long, didn’t read«. Zu lang, nicht gelesen. Hatred of capitalism.

Die Ausstellung »Wir sehen rot!« läuft noch bis zum 19. September 2025 und kann mittwochs bis freitags zwischen 13 und 18 Uhr in der Maigalerie besucht werden. jW-Maigalerie, Torstr. 6, 10119 Berlin

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