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Aus: Ausgabe vom 02.09.2025, Seite 10 / Feuilleton
Volksstimmefest

Bastionen gegen den Regen

Von Friedenspolitik und marxistischer Theoriearbeit: Das 78. Volksstimme-Fest am 30. und 31. August auf der Wiener Jesuitenwiese
Von Barbara Eder
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Nackte Gegenrechnung: Plakat der steirischen KPÖ auf der Wiener Jesuitenwiese

Wer am vergangenen Wochenende über die Wiener Jesuitenwiese ging, konnte sich überzeugen: Fast alle waren wieder da. Am Areal im Grünen Prater reihten sie sich Stand an Stand – von LINKS über die iranische Tudeh-Partei bis zum Linzer Kulturverein Willy, der jährlich das »Festival des politischen Liedes« organisiert. Entlang des Weges von der Initiativenstraße bis zum EL-Dorf trafen Freunde und Bekannte aufeinander, sahen sich Mitstreiterinnen und internationale Gäste wieder. Zwischen bunten Planen und flatternden Transparenten verhandelten sie zwei Tage lang die Zukunft einer Utopie – musikalisch und diskursiv.

Das Volksstimme-Fest steht in einer Tradition, die weit über die österreichische Hauptstadt hinausweist. Anders als das UZ-Pressefest der DKP ist es kein reines Parteifest, sondern ein offenes Forum für linke Bewegungen und Initiativen. Vorbild war die Fête de l’Humanité der französischen KP, die erstmalig 1930 im Sacco-und-Vanzetti-Park im Pariser Vorort Bezons stattfand. Im August 1946 hatte das Volksstimme-Fest im Praterstadion Premiere, seit 1947 ist die Jesuitenwiese dauerhafter Veranstaltungsort. Günther Hopfgartner, Obmann des Vereins Volksstimme-Fest und Vorsitzender der KPÖ, verantwortet die Organisation und legt besonderen Wert auf die internationale Ausrichtung. In den letzten Jahren nutzten Delegationen aus Kuba, Griechenland, der Türkei, Vietnam und Venezuela das Fest, um sich über die gemeinsamen Grundlagen einer weltweiten Bewegung zu verständigen. Am Samstag abend stellte jW-Autor Ingar Solty gemeinsam mit KPÖ-Bildungsreferent Martin Konecny im Diskussionszelt die »Edition Marxismen – Zweihundert Jahre Systemkritik für systematische Weltverbesserer« vor. Solty ging auf die aktuellen Auswirkungen der neoliberalen Konterrevolution seit den 1980ern ein, aus der Arbeiterklasse wurde seither eine »demobilisierte Klasse«; Bewegungen, die sich heute links nennen, drohen in Symbolpolitik und »Anrufungen von oben« zu stagnieren, marxistische Theorie und Praxis klaffen auseinander – ein Hiatus, den es zu überwinden gilt. Marxismus müsse wieder »from below« erkämpft werden, nicht als akademisches Ornament, sondern als Emanzipationswerkzeug sozialistischer Klassenparteien.

Am Sonntag nachmittag führte der »Frauen*Punkt« die linke Debatte unter anderen Aspekten fort. »Wer für den Krieg rüstet, will Krieg haben« lautete der Titel des Panels mit Rosa Logar, Birge Krondorfer und Irmtraud Voglmayr. Sie beschrieben, wie das aktuelle Kriegsregime zur Militarisierung des Sozialen führt und patriarchale Machtkonstellationen zum obersten Organisationsprinzip erhebt. Wer sich gegen Aufrüstung wendet, richte sich auch gegen diese Hierarchisierungen und versuche, Räume der Sorge und Solidarität offenzuhalten. Ein Plakat der steirischen KPÖ veranschaulichte die nackte Gegenrechnung: 15.000 Gemeindewohnungen oder 225 »Pandur«-Radpanzer, 25 Spitäler oder »Sky-Shield«-Raketen – die Bild-Text-Botschaft traf härter als jeder Budgetbericht.

Samstag nacht zog ein kalter Schauer über die Jesuitenwiese. Die Besucher suchten Zuflucht unter Planen, die Zelte der KPÖ-Bezirksorganisationen wurden zu kleinen Bastionen gegen den Regen. »Nicht jedes ist so stabil wie unseres«, bemerkte Ewald Magnes, KPÖ-Bezirksrat aus Wien-Floridsdorf. Er teilte den Unterstand mit den Donaustädter Genossen, serviert wurden Kartoffelpuffer mit Zaziki. Im Hintergrund zu hören war Edna Milions Stimme, rau und basslastig von der Sigi-Maron-Bühne her. Wenige Schritte weiter, in entgegengesetzter Richtung: das Zelt des Gewerkschaftlichen Linksblocks (GLB). Dort klampfte Chris »4er« Peterka kommunistische Traditionslieder. Seine Antwort auf die Demobilisierung des Klassenbewusstseins: das Einheitsfrontlied von Brecht und Eisler. »Und weil der Mensch ein Mensch ist, / drum hat er Stiefel im Gesicht nicht gern! / Er will unter sich keinen Sklaven sehn / und über sich keinen Herrn.«

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