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Stress (2)

Von Helmut Höge
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Es geht um Markierungsverfahren, die Schwanforscher einsetzen. Da die Schwäne kurze Beine haben, legt man statt eines Fußrings eine etwa 15 Zentimeter lange Markierung an ihren Hals. Die Neue Osnabrücker Zeitung berichtete einmal, dass ein Schwan im Mittellandkanal sich bemühte, seine gelbe Halsmanschette wieder loszuwerden. Er sah so unglücklich dabei aus, dass Passanten schließlich die Polizei alarmierten. »Da nicht eindeutig klar war, ob der Schwan in Not war, wurde die Feuerwehralarmeinheit Harpenfeld gerufen. Zur Unterstützung kam noch die Ortsfeuerwehr Bad Essen, die mit einem Boot eintraf. Längere Zeit wurde der Schwan nun von den Einsatzkräften beobachtet. Eine Notlage wurde nach übereinstimmender Meinung nicht festgestellt. Schließlich wurde auch noch ein Tierarzt zur Einsatzstelle gerufen, der keine lebensbedrohliche Lage des Höckerschwans erkennen konnte. Daher wurde der Einsatz für Polizei und Feuerwehr beendet.«

Eine Recherche der Zeitung ergab, dass es sich bei der gelben Halsmanschette um eine genehmigte Beringung handelte, die im Rahmen einer wissenschaftlichen Untersuchung durch die Biologische Station Haseniederung und die Universität Osnabrück Aufschluss über das Zug- und Ansiedlungsverhalten, die Aufenthaltsdauer in Mauser- und Überwinterungsgebieten, den Bruterfolg sowie die Überlebensrate geben sollte. Die Biologen konnten anhand ihrer Aufzeichnungen und der Markierung feststellen, dass der Höckerschwan mit der Kennzeichnung »AP13« seit 2004 fünf lange Jahre die Halsmanschette trug. Sein Brutgebiet befand sich an den Langelager Teichen, wo er im Jahr davor erfolgreich gebrütet hatte; den Winter über verbrachte er an der Mittelweser.

Ein weiterer Fall ereignete sich bei Heilbronn: Dort bargen Feuerwehrleute und ein Mitarbeiter der Vogelwarte Bad Friedrichshall einen Singschwan, bei dem sich soviel Schlamm – etwa 500 Gramm – unter der Halsmanschette angesammelt hatte, dass das Tier seinen Hals nicht mehr hochhalten konnte. Sie entfernten kurzerhand die Manschette. Die verantwortlichen Schwanforscher bezichtigten sie der Tierquälerei. Ein Sprecher der Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft Heilbronn entgegnete, dass es sich in diesem Fall mitnichten um Tierquälerei handeln würde, eine solche Kennzeichnung von Schwänen sei auch andernorts üblich, zudem genehmigungspflichtig und erlaubt. Im konkreten Fall des Singschwans war die Halsmanschette blau, was bedeutete, dass der Schwan aus dem Baltikum, aus Finnland oder Schweden kam. Der deutsche Naturschutzbund (Nabu) ging wenig später von der Verteidigung zum Angriff über: »Die Beseitigung der Halsmanschette am lettischen Singschwan sei ein unzulässiger Eingriff in die von den Vogelschutzwarten durchgeführten Forschungen an wandernden Vogelarten.«

Da standen sich nun Schwanretter/Tierfreunde und Schwanforscher/Naturschützer gegenüber. Den einen ging es um das Leben eines Individuums, den anderen um Informationen zur Erhaltung der Art. Letztere beriefen sich auf die staatlichen Gesetze, erstere auf das moralische Gesetz in ihnen. Erstere nahmen den Stress der Schwäne billigend in Kauf, letztere wollten sie »entstressen«.

Die US-amerikanische »Trompeterschwangesellschaft« hält anscheinend nichts von Halsmanschetten. Sie teilt auf ihrer Internetseite mit: »Schwäne können auf zwei Arten überwacht werden. Eine Möglichkeit ist die Verwendung eines GPS/GSM-Ortungshalsbands, das alle 15 Minuten die GPS-Koordinaten des Standorts eines Schwans aufzeichnet. Die Informationen werden im Halsband gespeichert, und wenn der Schwan an einem Mobilfunkmast vorbeikommt, werden die Informationen für Wissenschaftler heruntergeladen. Die Ortungshalsbänder verfügen über schwarze Panels, bei denen es sich um Solarzellen handelt, die die Batterien aufladen.« Das Fangen und Befestigen des Senders stresst den Vogel natürlich und wahrscheinlich auch noch für die Dauer, da das Gerät an seinem Hals hängt.

»Die zweite Möglichkeit, einen Schwan zu verfolgen, hängt von Ihnen und anderen Menschen wie Ihnen ab, die einen Schwan mit einem Halsband, einer Flügelmarke, einem farbigen Beinring sehen. Diese Halsbänder verfolgen keine Standorte. Die einzige Möglichkeit, den Standort eines bestimmten Schwans zu erfahren, besteht darin, dass Sie als Beobachter dies über ›Trumpeter Watch‹ oder das ›Bird Banding Lab‹ melden.« Diese humane Methode der Tierbeobachtung stresst höchstens den Beobachter.

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