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Aus: Ausgabe vom 01.09.2025, Seite 8 / Feuilleton
»Idiocinecratic«-Reihe

»Aus den Kinos verschwinden Filme von Frauen eher«

Berlin: Kuratierte Filmreihe zeigt wenig beachtete Werke feministischer Gegenkultur. Ein Gespräch mit Eli Lewy
Interview: Barbara Eder
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Mit »Mary Janes Not a Virgin Anymore« bildet ein Schlüsselfilm des »Do it yourself«-Independentkinos der 1990er Jahre den Auftakt der von Ihnen für das City-Kino Wedding kuratierten Filmreihe »Idiocinecratic«. Warum ausgerechnet dieser Film?

Ich möchte mit meiner Serie einige der großartigen Arbeiten hervorheben, die nicht die verdiente Aufmerksamkeit bekommen. »Mary Jane’s Not a Virgin Anymore« von Sarah Jacobson hat diese spezielle Punk-DIY-Riot-Grrrl-Atmosphäre. Die Undergroundregisseurin verstarb in sehr jungen Jahren. Es war ihr einziger Spielfilm und ist ein punkiges Stück Gegenkultur zu Sexismus und Desillusionierung der 90er Jahre. Mein Fokus liegt nach diesen beiden Filmen auf dem Independentkino der letzten zehn Jahre – mit interessanten Perspektiven, die nicht immer in ein Genre passen. Ich zeige Filme von Regisseurinnen, die in der deutschen Filmszene nicht genügend Anerkennung finden.

Warum werden sogenannte Riot-Grrrl-Filme von Kinos und Verleihern zu wenig beachtet?

Filme von Frauen verschwinden eher aus den Kinos. An Filmhochschulen gibt es genauso viele Frauen wie Männer, und doch haben sie oft ganz unterschiedliche Karrieren. Wenn ein Mann einen finanziell erfolglosen Film dreht, ist das nur ein kleiner Ausrutscher. Aber eine Frau, die dasselbe durchmacht, bekommt oft keine zweite Chance. Martha Coolidge, die Regisseurin von »Not a Pretty Picture«, den ich am 6. September zeigen will, begann ihre Karriere mit Filmen wie »Valley Girl« von 1983 mit Nicolas Cage sowie »Real Genius« von 1985 mit Val Kilmer und hat eine lange Karriere hinter sich, allerdings hauptsächlich im Fernsehen. Das ist ein klassischer Karriereweg für Frauen in der Branche.

Was macht Ihre Filmreihe zum feministischen Gegenpol?

Ich möchte viele Filme von Frauen und nichtbinären Filmemachern hervorheben, die in den letzten fünf bis zehn Jahren untergegangen sind. Ein Film wie »Not a pretty picture« ist ein klassisches Beispiel dafür, was mit dem feministischen Kino passiert. Der Film zeigt die Regisseurin auf konfrontative und vielschichtige Weise bei ihrem Versuch, ihre Vergewaltigung zu verarbeiten, indem sie den Vorfall mit Schauspielern nachstellt. Es ist eine kraftvolle und wichtige Auseinandersetzung mit dem Thema Vergewaltigung und Trauma, wurde aber jahrzehntelang nicht gezeigt, erst vor einigen Jahren restauriert und wiederentdeckt. Ich frage mich, was passiert wäre, wenn dieser Film bei seiner Veröffentlichung die Anerkennung erhalten hätte, die er verdient.

Wie ist die Kooperation mit dem City-Kino Wedding entstanden?

Die ersten beiden Filme werden in Kooperation mit der feministischen Filminitiative »The Future of Film is Female« mit Sitz in New York präsentiert – ein gelungener Auftakt. Durch das »Final Girls Berlin«-Filmfestival arbeite ich seit Jahren mit dem Kino zusammen. Die Betreiber waren so nett, diese Reihe zu veranstalten, und ich werde vor jedem Film eine kleine Einführung geben. Wenn im Anschluss Leute über die Filme sprechen wollen, freue ich mich sehr darüber! Gerade das macht diese Vorführungen so toll: Man kann sich über die Filme, die man gerade gesehen hat, austauschen und angeregt darüber diskutieren.

Sie sind auch Dokumentarfilmerin. Woran arbeiten Sie derzeit – und was ist Ihnen dabei besonders wichtig?

Mein Dokumentarfilm »The Chris Project« ist ein Langzeitprojekt. Ich tauche in wichtige Momente und Ereignisse im Leben meines Protagonisten ein, ähnlich wie in »Boyhood« von Richard Linklater. Es geht um einen meiner besten Freunde, einen Musiker, der schizophren ist. Ich versuche, meinen Protagonisten und die Realität der Schizophrenie auf entstigmatisierende Weise darzustellen – etwas, was dem Kino oft nicht gelingt, wenn es um psychische Gesundheit geht. Eines der wichtigsten Dinge ist, dass mein Protagonist und ich auf gleicher Augenhöhe sind.

Eli Lewy ist Kodirektorin des »Final Girls«-Filmfestivals in Berlin sowie Kuratorin der am 5. September startenden Filmreihe »Idiocinecratic« im City-Kino Wedding

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