Krieg, Mord und debile Despoten
Von Peter Köhler
Wer A sagt, muss auch W sagen, wenn die Antike gemeint ist, und Johann Joachim Winkelmann zitieren, der den Griechen »edle Einfalt« und »stille Größe« zuschrieb. Allerdings war Einfalt eher Winkelmanns große Eigenschaft, der sich von der Schönheit der Statuen und der eleganten Malerei blenden ließ, die politische, wirtschaftliche und soziale Seite der Geschichte aber ausblendete.
Dabei konnte er schon bei Homer, dessen Verfassernamen an die gut 3.000 Jahre alte »Ilias« geknüpft ist, erkennen, dass die Griechen nicht edel und still waren, sondern groß im Kämpfen und Blutvergießen. Die Lanze, »den weißlichen Schädel zerspaltend, / schlug sie die Zähne heraus, und beide Augen erfüllte / strömendes Blut. Er spie aus offenem Mund und Nüstern / röchelnd hervor, dann umfing ihn die düstere Wolke des Todes« – nur ein Beispiel aus der »Ilias«, und nicht das brutalste, mit dem Michael Sommer und Stefan von der Lahr in ihrem gründlich mit lieben Mythen aufräumenden Buch über »Die verdammt blutige Geschichte der Antike« aufwarten: W wie Weh, Wut und Wahnsinn passen besser.
Nach zahllosen Kriegen halbwegs beruhigt, gezähmt und wohl auch buchstäblich entwaffnet sind die Griechen erst gut 1.000 Jahre später, als Rom die Herrschaft auch im östlichen Mittelmeerraum an sich reißt. Wer mag, kann hier historische Parallelen erkennen: im Großen, denn was Preußen in Deutschland, waren unter den Griechen die Makedonen, wie im Kleinen – das griechische »Sparta«, witzeln die humorbegabten Autoren, »war ungefähr so reformfreudig wie der Vatikan heute«. (Nicht gesagt wird, aber hinzugefügt sei, dass Frauen in letzteren beiden Staaten noch weniger zu melden hatten bzw. haben als in Preußen oder Makedonien – und überhaupt.)
Ins Auge springt vor allem die Verwandtschaft der USA des Altertums mit dem Rom der Neuzeit. Nicht nur ist die Pax Americana genauso löchrig wie die Pax Romana; Gewalt im Innern und gegen außen prägen die Geschichte der englischen Kolonien und dann der Vereinigten Staaten von Anfang an wie zuvor diejenige Roms.
Die römische beginnt der Überlieferung zufolge mit dem Brudermord des Romulus an Remus und umfasst eine schier endlose Kette von Kriegen, einschließlich eines Bürgerkriegs von 1861 bis 65, nein: im 1. Jahrhundert v. Chr. Nicht nur der Gang der allgemeinen Geschichte wiederholt sich, sondern sogar konkrete Einzelfälle belegen die politische Verwandtschaft über die 2.000 Jahre hinweg: Was in Amerika der Prediger Martin Luther King war, ist in Rom der Volkstribun Publius Clodius Pulcher, der 52 v. Chr. ermordet wird.
Ob und wenn ja welche römischen Kaiser mit welchen US-Präsidenten zu vergleichen oder sogar gleichzusetzen sind, diese Frage überlässt das Autorenduo seinen Lesern. Die Auswahl, die ihnen das, so eine Kapitelüberschrift, »Reich der unbegrenzten Möglichkeiten« namens Rom zur Verfügung stellt, wo es neben manchem guten Präsidenten auch einige »debile Despoten« gab, bietet genug Möglichkeiten für Vergleiche mit späteren amerikanischen Kaisern, und zwar nicht erst für das Hier und Heute und das Trumpeltier.
Vorhalten kann man den Autoren, dass sie nach Art des früheren Schulunterrichts verfahren und von Kaisern, Königen und Kriegen berichten, soziale und ökonomische, vielleicht auch ökologische Hintergründe oder Ursachen, eben den »ganzen langweiligen Kram«, jedoch ausblenden. Aber die Beschränkung auf die politische und militärische Ereignisgeschichte tut der Erzählung insofern gut, als sie die Gefahr vermeidet, dass äußere Umstände als Milderungsgrund oder sogar Entschuldigung für durchgedrehte Tyrannen wie Alexander den Großen gelten, der groß auch als – ausdrücklich so bezeichneter – »Massenmörder« war.
Agamemnon wiederum, der ebenfalls nicht zimperliche Anführer der Griechen vor Troja, war »der Oberboss«, weil die Sprache, derer sich die Autoren befleißigen, »nicht immer super-seriös« ist. Das erleichtert die Lektüre eines manchmal schwer verdaulichen Stoffs, aber bagatellisiert ihn auch. Während es befreiend sein kann, wenn der Gigant Homer als »der dichtende Gyrosspieß« lächerlich gemacht wird und das drückende Gewicht der Hochkultur für einen Moment verschwindet, ist es eine keinesfalls lustige Banalisierung, das beherzte und berühmte Wort des Kynikers Diogenes an Alexander (»Geh mir aus der Sonne!«) so lahm wiederzugeben: Er »möge ihm doch nur ein wenig aus der Sonne gehen«. Für solche Nettigkeit war in der Antike kein Platz.
Michael Sommer/Stefan von der Lahr: Die verdammt blutige Geschichte der Antike. Ohne den ganzen langweiligen Kram. Mit Illustrationen von Lukas Wossagk. Verlag C. H. Beck, München 2025, 364 Seiten, 26 Euro
Tageszeitung junge Welt am Kiosk
Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
-
Leserbrief von Michael aus Wien (2. September 2025 um 13:19 Uhr)»Vorhalten kann man den Autoren, dass sie nach Art des früheren Schulunterrichts verfahren und von Kaisern, Königen und Kriegen berichten, soziale und ökonomische, vielleicht auch ökologische Hintergründe oder Ursachen, eben den «ganzen langweiligen Kram», jedoch ausblenden. Aber die Beschränkung auf die politische und militärische Ereignisgeschichte tut der Erzählung insofern gut, als sie die Gefahr vermeidet, dass äußere Umstände als Milderungsgrund oder sogar Entschuldigung für durchgedrehte Tyrannen wie Alexander den Großen gelten, der groß auch als – ausdrücklich so bezeichneter – «Massenmörder» war.« Aber genau das muss man den Autoren vorhalten, wenn man sich als Linker versteht: Denn der Inhalt, mit dem Kriege im Laufe der Jahrtausende geführt wurden, macht schon ein besonderes Kriterium aus. Gerade die politökonomischen Unterschiede der verschiedenen »Gesellschaften« bzw. »Staatlichkeiten« – von Staaten im modernen Sinn kann man nicht reden – z. B. in der Antike, im europäischen Mittelalter, Absolutismus und Imperialismus sind erhellend. Wenn man von denen abstrahiert, was bleibt dann noch? – Das leere Gedankengut von latent im Menschen vorhandener Aggression? – Um sich von der damit zustande gekommenen »Erfolgsgeschichte« unterhalten zu lassen – was für ein Zynismus – braucht man wirklich keine jW als Empfehlung. Das kann man bei SZ und FAZ genauso haben. Meine Empfehlung zur Aufklärung: Walter Mehring: »Die Lessing-Legende« u. a. Schriften über den preußischen Absolutismus und seine Kriege.
Regio:
Mehr aus: Feuilleton
-
»Aus den Kinos verschwinden Filme von Frauen eher«
vom 01.09.2025 -
Vertraute fremde Klänge
vom 01.09.2025 -
So leben die infamen Menschen
vom 01.09.2025 -
Nachschlag: Komplementär
vom 01.09.2025 -
Vorschlag
vom 01.09.2025 -
Veranstaltungen
vom 01.09.2025