Anschub für Militarismus
Von Igor Kusar, Tokio
US-Präsident Donald Trump hält die Welt in Atem, seit er im Januar das Amt erneut übernommen hat. Spürbar ist das auch in Japan, das wegen der Exportabhängigkeit seiner Großunternehmen besonders gefährdet ist durch die Zolleskapaden des Amerikaners. Nun hat der offene US-Isolationismus Bedenken wegen der japanischen Sicherheitsarchitektur angefeuert. Der rechte Flügel in der regierenden Liberaldemokratischen Partei (LDP), dessen Markenzeichen stets der Wunsch nach erneuter Militarisierung Japans war, nimmt die erratische Haltung des US-Präsidenten zum Anlass, Diskussionen um die Möglichkeit einer nuklearen Aufrüstung zu lancieren. Trump sei »so unberechenbar«, dass man erwägen müsse, »unabhängig zu werden und Atomwaffen anzuschaffen«, sagte das LDP-Mitglied Rui Matsukawa vergangene Woche gegenüber Reuters.
Vor achtzig Jahren haben US-Atombomben die Städte Hiroshima und Nagasaki in Schutt und Asche gelegt. Seit den 1950er Jahren gehören dieses Faktum und die Tatsache, dass Japan das bisher einzige große Opfer des Atombombeneinsatzes ist, zum nationalen Selbstverständnis. Ab und an spricht man sogar von einem nuklearen Nationalismus. Trotzdem hat das Land schon bald angefangen, Atomenergie zu »friedlichen« Zwecken zu nutzen – einer der vielen Widersprüche der japanischen Atomdebatte. Gelegentlich wurden Rufe nach japanischen Atombomben laut.
Dass Japan aber unter dem US-Atomwaffenschirm liegt, also im Notfall durch US-Nuklearwaffen geschützt ist, und die japanische Zivilgesellschaft nukleare Waffen ablehnt, hat einer breiteren Diskussion wieder und wieder Riegel vorgeschoben. Ende der 1960er Jahre hat sich der Inselstaat zur Einhaltung der drei nichtnuklearen Prinzipien verpflichtet, nämlich Atomwaffen weder zu lagern, einzuführen noch zu bauen. Politiker, die sich auf diesem Gebiet zu weit vorwagten, wurden zum Rücktritt gezwungen. Ausnahmen gab es indes immer wieder, etwa den rechten ehemaligen Gouverneur von Tokio, Ishihara Shintarō, der Japan offen zum Bau von Nuklearwaffen aufrief.
Die Stimmung änderte sich zu Beginn der zweiten Amtszeit von Abe Shinzō 2012. Alte Tabus im Bereich der Sicherheitspolitik wurden beiseitegeschoben. Japan näherte sich zwar in vielen Bereichen den USA an, verfolgte aber eine eigene Aufrüstung und suchte neue Partner. Nach seinem Rücktritt 2020 versuchte Abe, das Thema nukleare Teilhabe, wie sie die BRD kennt, ins Spiel zu bringen. Andere japanische Politiker wie der derzeitige Premierminister Ishiba Shigeru sprechen in Wahlkämpfen offen über die nukleare Sicherheitslage Japans. Das wäre früher nicht möglich gewesen.
Nun gibt es in der LDP Bestrebungen, vor allem die drei nichtnuklearen Prinzipien zur Diskussion zu stellen und die Möglichkeit einer Revision oder Aufweichung zu prüfen. Danach könnten US-Atomwaffen auf japanischem Gebiet gelagert werden. Rund vierzig Prozent der Japaner befürworten solche Debatten in Umfragen.
Noch bekräftigt die US-Regierung ihren Standpunkt, Japan im Notfall atomar zu verteidigen, und steht einer nuklearen Aufrüstung Japans wie auch Südkoreas skeptisch gegenüber. Noch hat die japanische Friedensbewegung, insbesondere in Hiroshima und Nagasaki, Einfluss genug, um weitergehende nukleare Träume zu unterbinden. Der Leiter von Peace Boat, einer NGO, die sich auch für die globale nukleare Abrüstung einsetzt, Kawasaki Akira, sieht die Debatten in der LDP darum gelassen und hält sie für Populismus, der bei Gelegenheit hochschwappt. Doch viele Japaner haben das diffuse Gefühl, dass die Zeiten, da man sich voll auf die USA verlassen konnte, vorbei sind. Dies öffnet die Tür für gefährliche Ideen, die Japans Militarismus einen Schub geben könnten. Stellvertretend dafür steht die vor kurzem gegründete rechte Partei Sanseitō, die sich im Wahlkampf zum japanischen Oberhaus im Juli für die Entwicklung eigener Atomwaffen aussprach. Sanseitō gehörte zu den Gewinnerinnen der Wahlen.
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