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Aus: Ausgabe vom 25.08.2025, Seite 8 / Ausland
Präsidentschaftswahlen in Bolivien

»Beide stehen für eine liberale Marktöffnung«

Bolivien: MAS unterliegt im Rennen um Präsidentschaft. Stichwahl zwischen zwei rechten Kandidaten. Ein Gespräch mit Antonio Abal Oña
Interview: Thorben Austen
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Die Präsidentschaftswahlen in Bolivien endeten mit einer historischen Niederlage für die bisher regierende Bewegung zum Sozialismus – Politisches Instrument für die Souveränität der Völker, kurz MAS-IPSP. Am 17. August erreichte die Partei nur noch drei Prozent, während sie die Wahlen 2020 noch mit absoluter Mehrheit gewonnen hatte. Auch im Parlament wird die Partei nicht mehr vertreten sein. Was sind die Gründe?

Seit Amtsantritt von Evo Morales 2006 gibt es eine systematische Kampagne zu seiner Schwächung. Den transnationalen Konzernen geht es dabei um Lithium und die Vorkommen an seltenen Erden. Es gab die Drohungen eines Bürgerkrieges, separatistische Ankündigungen der Flachlandepartamentos und letztlich 2019 den Putsch gegen Morales. Dieser konnte aber abgewehrt werden, und 2020 wurde mit den Wahlen die Demokratie wiederhergestellt. Mit dem Sieg von Luis Arce bei den Präsidentschaftswahlen begann der Prozess der Schwächung und Spaltung der MAS-IPSP, am Ende in drei Flügel: Luis Arce, Andrónico Rodríguez und Evo Morales.

Können Sie den Prozess der Spaltung ab 2020 noch etwas konkretisieren?

Als Arce Präsident wurde, kündigte er an, in seinem Kabinett niemanden aus der alten Regierung von Morales zu übernehmen. Er änderte den Kurs zurück zu einer Politik des reinen Exportes unserer Bodenschätze. Dann traten die sozialen Bewegungen auf den Plan. Der Pacto de Unidad (Pakt der Einheit, jW), ein Zusammenschluss sozialer Bewegungen, forderte Arce auf, Ministerwechsel vorzunehmen. Dies lehnte dieser ab. So begann die Spaltung nicht nur in der MAS, auch in den sozialen Bewegungen. Der Pakt der Einheit wiederum war bald gespalten in einen Flügel für Morales und einen für Arce. Später trat noch Rodríguez als dritter Kandidat dazu. Dazu kam die ökonomische Krise, die sich im Mangel an Devisen, der Inflation und dem Mangel an Treibstoffen ausdrückt. Proteste und Blockaden, zum Beispiel vom Apothekerverband und anderen Unternehmerkreisen, verschärften die Krise noch.

Die Stichwahl wird jetzt zwischen zwei Kandidaten ausgetragen, von denen der eine der moderaten rechten Mitte zugeordnet wird, der andere als ultrarechter Neoliberaler gilt. Wer sind die beiden?

Jorge Fernando »Tuto« Quiroga ist ein Ultraneoliberaler, etwa so wie Javier Milei in Argentinien, wenn auch etwas weniger offen in seinen Äußerungen. Er dient vollständig nordamerikanischen Interessen. Was seinen Gegenkandidaten und Sieger der ersten Präsidentschaftsrunde, Rodrigo Paz Pereira, angeht, sehe ich aber nicht so große Unterschiede. Beide wollen die vermeintlich ineffizienten Staatsunternehmen privatisieren, beide wollen die Verfassung in Bezug auf Artikel ändern, die Bolivien als plurinationalen Staat definieren, sowie die Gesetze zum Schutz der Madre Tierra und die gegen Rassismus abschaffen. Beide stehen für eine liberale Marktöffnung.

Als die MAS an die Regierung kam, versprach sie Industrialisierung, damit alle Bolivianer am Reichtum der Bodenschätze teilhaben können. Was wurde erreicht?

Bolivien liegt in der industriellen Entwicklung auch im Vergleich mit Nachbarländern wie Argentinien und Chile 50 Jahre zurück. Morales hat diesen Prozess aber zumindest begonnen, Arce dagegen bremste hier und kehrte zur Politik des reinen Exportes der Bodenschätze zurück.

Zumindest für die nächsten fünf Jahre ist der Prozess des Wandels in Bolivien beendet. Was bleibt von 20 Jahren Politik der MAS?

Erstmals in der Geschichte Boliviens haben die indigenen Nationen eine Rolle in der Politik und im Staat gespielt. Vor 2005 war es so, dass selbst Bürgermeister in kleinen Orten aus der Stadt kamen, weil Indigene angeblich nicht in der Lage waren, ein solches Amt auszuführen. Hier haben sich Dinge grundsätzlich geändert, und daher hat Evo Morales auch weiter seine Basis. So folgten 20 Prozent der Wähler seinem Aufruf und wählten »ungültig«. Die Indigenen Nationen sind ein Faktor in der Politik geworden und werden nicht kampflos aufgeben.

Antonio Abal Oña ist Journalist und Analyst für Politik und soziale Bewegungen in Bolivien

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