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Aus: Ausgabe vom 25.08.2025, Seite 7 / Ausland
Argentinien

»Der Chef« im Auge des Sturms

Argentinien: Schwester des Präsidenten Milei und Vertraute sollen Korruptionsnetzwerk betrieben haben. Anklage eingereicht
Von Frederic Schnatterer
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Der »Chef« ist wer? Hinter Milei zieht Schwester Karina die Fäden – auf unlautere Weise (Buenos Aires, 18.5.2025)

Der Zeitpunkt ist äußerst ungünstig für Argentiniens Ultrarechte. Kurz vor den Wahlen in der Provinz Buenos Aires und zum Landesparlament sehen sich enge Vertraute der Regierung Korruptionsvorwürfen ausgesetzt. Im Zentrum der Anschuldigungen stehen Karina Milei, die Schwester des Präsidenten Javier Milei, sowie deren rechte Hand Eduardo Menem. Sie sollen an der Spitze eines Bestechungsnetzwerks rund um die staatliche Behindertenagentur Andis und den Pharmariesen Suizo Argentina stehen.

Am Dienstag waren Audiomitschnitte in Umlauf gebracht worden, in denen der daraufhin sogleich gefeuerte Andis-Chef Diego Spagnuolo ausplaudert, wie Suizo Argentina von anderen Pharmaunternehmen acht Prozent Provision im Tausch für lukrative Regierungsaufträge verlangt habe. »Du bringst die Kohle zur Suizo, und wir verschaffen Zugang zum Präsidentenamt«, ist der frühere Strafverteidiger Mileis auf der Aufnahme zu hören. Von den acht Prozent gingen drei direkt an Karina, monatlich betrügen die Bestechungsgelder zwischen 500.000 und 800.000 US-Dollar. Der Präsident sei zwar nicht direkt beteiligt, habe aber davon gewusst, so Spagnuolo. »Ich habe ihm gesagt: Javier, du weißt, dass sie stehlen, dass deine Schwester stiehlt.«

Nach der Entlassung Spagnuolos am Mittwoch führte die Staatsanwaltschaft am Freitag mehrere Hausdurchsuchungen durch. Dabei konfiszierte sie Spagnuolos Handy und eine Maschine zum Geldzählen und untersagte ihm, außer Landes zu reisen. Gleiches gilt für die Besitzer von Suizo Argentina, Emmanuel und Jonathan Kovalivker. Während jener von der Polizei in seinem Auto angetroffen wurde, in dem er 266.000 US-Dollar und sieben Millionen Pesos (rund 4.500 Euro) in bar mit sich führte, dürfte sein Bruder Jonathan flüchtig sein.

Gregorio Dalbón, der Verteidiger der früheren Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner, reichte Klage gegen Karina und Javier Milei, Menem und die Kovalivker-Brüder wegen Veruntreuung und Korruption ein. Gleiches tat der trotzkistische Abgeordnete Gabriel Solano. Leandro Santoro, der für die linksperonistische Unión por la Patria im Abgeordnetenhaus sitzt, sagte bei einer Sitzung am Mittwoch: »Während sie behaupten, sie kämpften gegen die Korruption, tauchen Aufnahmen auf, aus denen Bestechung in der Agentur Andis hervorgeht.«

Die Vorwürfe sind auch deshalb pikant, da im Parlament gleichentags über ein Gesetz diskutiert wurde, mit dem die Versorgung von Menschen mit Behinderungen verbessert werden sollte. Dabei hoben die Abgeordneten ein Veto Mileis gegen die Maßnahme auf. Es war das erste Mal während der Amtszeit des Ultralibertären, dass dies der Opposition gelang. Die Tageszeitung Página 12 kommentierte am Wochenende: »An dem Tag, an dem die Regierungspartei ihren Kurs verteidigte, Behinderte im Stich zu lassen, wurde bekannt, dass die staatliche Agentur für Behinderte ein Ort der Korruption ist, an dem mit dem Geld für die Behinderten gezockt wird.« »Eine Regierung, die von den Schwächsten nimmt, ist eine Regierung von Elenden.«

Es ist nicht das erste Mal, dass Vertraute des Präsidenten im Zentrum von Korruptionsvorwürfen stehen. Besonders sticht dabei Karina Milei hervor, die von Beobachtern als windige Geschäftsfrau und Kopf hinter dem Präsidenten gesehen wird. Im Fall des Millionenbetrugs rund um die vom Staatschef persönlich beworbene Kryptowährung Libra steht gegen sie, die von ihrem Bruder nur »El Jefe« (der Chef) genannt wird, der Vorwurf im Raum, 50.000 US-Dollar für die Anbahnung von Treffen mit ihrem Bruder genommen zu haben.

Präsident Milei äußerte sich nicht direkt zu den Vorwürfen. Statt dessen warf er der linken Opposition vor, den Nationalstaat zu »zerstören«. Bei den am 7. September anstehenden Wahlen in der Provinz Buenos Aires setzt er alles auf einen Sieg gegen Amtsinhaber Axel Kiciloff, der das »definitive Ende des Kirchnerismus« einleiten werde. Bei der in zwei Monaten anstehenden Parlamentswahl hofft die Regierung auf einen Zugewinn an Abgeordneten. Einfacher dürfte das durch die jüngsten Ereignisse nicht werden.

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