Sabra und Schatila mahnen
Von Dieter Reinisch, Beirut
Nun müssten die nächsten Schritte gegangen werden, sagte Thomas Barrack, US-Sondergesandter für Syrien, während seines Besuchs beim libanesischen Staatspräsidenten Joseph Aoun am Montag: Nach dem Beschluss zur Entwaffnung der Hisbollah müsse Israel aus dem Süden des Libanon abziehen.
Die schiitischen Bewegungen Hisbollah und Amal wollen aber ihre Waffen nicht abgeben. Beide sind personell und militärisch stärker als die libanesischen Streitkräfte, die selbst zu einem großen Teil aus Schiiten bestehen. Beiruts Armee »wird niemals gegen Hisbollah kämpfen«, sagt Ahmed Saleh, der den politischen Betrieb im Libanon seit Jahrzehnten beobachtet, im Gespräch mit jW. Solche Beschlüsse würden »nur zur Spaltung des Libanon« führen, zumal Israel »niemals freiwillig abziehen« werde.
So wie Saleh sehen das auch die meisten Palästinenser. 400.000 leben im Libanon – zumeist in Flüchtlingslagern. Die Frage nach der Entwaffnung der Hisbollah betrifft sie unmittelbar. Ende Mai kam der palästinensische Präsident Mahmud Abbas zu Besuch – vermeintlich nur, um den neuen Präsidenten Aoun zu begrüßen. Doch diese Geste »war ein Vorwand: Abbas will die Entwaffnung der Palästinenser vorantreiben«, erklärt Soheil Al-Natour, Menschenrechtsanwalt und Mitglied der linken Organisation Demokratische Front zur Befreiung Palästinas (DFLP), gegenüber jW in seinem Büro im Flüchtlingslager Mar Elias.
Als Fatah-Chef will Abbas seine politischen Konkurrenten ausschalten. Darum werde nun über die Entwaffnung auch der palästinensischen Flüchtlingslager gesprochen, so Al-Natour. Dafür wurde eine Frist bis zum 1. August gesetzt, obwohl nahezu alle Abbas’ Forderung ablehnen – selbst die meisten Fatah-Fraktionen. »Wie soll ich meinen Fahrer bitten, mich zu verteidigen, wenn ich von ihm fordere, seine Waffe abzugeben?« habe der Botschafter Palästinas kommentiert, schilderte Al-Natour. Am Montag hat Abbas einen neuen Botschafter für Beirut bestellt.
Schon nach dem Sturz Präsident Baschar Al-Assads in Syrien hatten palästinensische Gruppen, die in dem Nachbarland operieren, Waffen abgegeben. Das betraf etwa die Volksfront zur Befreiung Palästinas – Generalkommando (PFLP-GC) oder die syrisch- bzw. irakisch-baathistischen Gruppen Al-Saika und »Arabische Befreiungsfront«. Sie leerten einige Verstecke im Süden des Libanons und in der Bekaa-Ebene.
El-Natour zeichnete zwei denkbare Szenarien: Entweder werde Abbas eine PLO-Polizei aufstellen, um die Lager zu entwaffnen, und dadurch einen internen Kampf provozieren, oder er werde mit christlichen Libanesen kooperieren und einen noch fataleren Bürgerkrieg verursachen. Denn auch die Hisbollah wehre sich gegen ihre Entwaffnung: »Sie trainiert die Palästinenser; sie sind ihre Unterstützung.« Jeder habe Angst, was die Zukunft bringen wird.
Neben Mar Elias befindet sich Musawat, ein Zentrum zur Behandlung körperlicher Beeinträchtigungen. Finanziert wird es von der deutschen Caritas und der österreichischen Volkshilfe. Direktor ist Kassem Sabbah, der seit dem Beginn der Ersten Intifada am 6. Februar 1984 im Rollstuhl sitzt. Damals wie heute habe Israel Oberwasser »und möchte dem Libanon ein Abkommen aufs Auge drücken«, erzählt Sabbah. »In 15 Tagen werden wir hier wieder Krieg haben«, befürchtet er, nur dass sich statt einer israelischen Bodenoffensive ein »Suweida-Szenario wiederholen wird«. Israel werde seine Alliierten kämpfen lassen, nämlich die rechten christlichen »Libanesischen Kräfte« (Forces Libanaises, FL).
Den historischen Vergleich bekräftigte Ihsan Ataja, der außenpolitische Beauftragte des Palästinensischen Islamischen Dschihads (PIJ). Er sieht sich und seine Organisation als »Verbindungsglied zwischen den linken säkularen und den islamischen Gruppen des palästinensischen Widerstands« und betonte gegenüber jW: »Wir wollen kein neues Massaker wie in Sabra und Schatila.« 1982 wurden in den beiden palästinensischen Lagern in wenigen Tagen 3.500 Menschen von christlichen proisraelischen Milizen unter dem FL-Anführer Elie Hobeika ermordet. In den Camps gebe es ohnehin »keine schweren Waffen, mit denen man Israel angreifen« könne. Vorrätig seien nur »kleine Waffen zur Verteidigung unserer Lager«.
Auch der PIJ ahnt, dass es bald zur bewaffneten Konfrontation kommen wird. Generalsekretär Haitham Abu Al-Ghaslan sieht die größte Gefahr auf jW-Nachfrage in Syrien: »Israel wird die Drusen als Verbündeten aufbauen und dann von Syrien aus angreifen.« Die Palästinenser würden dann genau wie in den Kämpfen der 1970er Jahre wieder die ersten Opfer. Dagegen müsse man sich verteidigen, weshalb die Entwaffnung für keine der Fraktionen eine Option sei.
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