In der Gewaltspirale
Von Roland Zschächner
Es ist eine Machtprobe zwischen der von Studierenden getragenen Protestbewegung und der rechtsnationalen Regierung der Serbischen Fortschrittspartei (SNS) von Präsident Aleksandar Vučić. In den vergangenen Tagen sind im ganzen Land erneut Tausende Menschen auf die Straße gegangen. Die Demonstrationen richteten sich gegen die Repression der Polizei an den vorangegangenen Tagen. Im Netz kursieren Aufnahmen, die deren brutales Vorgehen gegen die Teilnehmer der Proteste zeigen. So schlagen die Uniformierten auf am Boden liegende Menschen mit Schlagstöcken ein.
Besonders der Fall Nikolina Sinđelić sorgt für Unmut. Die junge Frau berichtete, ein Polizeioffizier habe ihr nach der Festnahme in Belgrad am 14. August mit Vergewaltigung gedroht. Außerdem wurden die Studentin und andere Festgenommene von den Beamten geschlagen. Das deckt sich mit anderen Berichten sowie den Aufnahmen und zeugt letztlich vom gesetzeswidrigen Umgang der Polizisten mit Demonstranten.
Ausgangspunkt der Bewegung war der Einsturz des Bahnhofsvordachs in Novi Sad am 1. November vergangenen Jahres. Korruption im Zusammenhang mit der Renovierung gilt als Ursache des Unglücks, bei dem 16 Menschen ums Leben kamen.
Unterdessen beginnt die SNS, deren Parteibüros in den vergangenen Tagen das Ziel der Proteste waren, ihre Mitglieder zu mobilisieren. Für Mittwoch abend rief SNS-Chef Miloš Vučević diejenigen Bürger, die »keinen Konflikt wollen und ein normales Leben wünschen«, dazu auf, sich landesweit an Versammlungen zu beteiligen. An 50 Orten sollen solche Kundgebungen stattfinden. Die Botschaft der SNS-Veranstaltungen solle laut Vučević sein: »Wir haben genug von den Blockaden, wir wollen unser Leben zurück.«
Auch abseits der Straße versucht die SNS zu punkten. Staatspräsident Vučić kündigte am Mittwoch in Belgrad an, er wolle am Sonntag Maßnahmen vorstellen, um die Bürger zu unterstützen. Vor allem die Ärmsten und Rentner sollen profitieren – bereits ab dem 1. September. Einfacher werde etwa, an günstige Kredite zu gelangen. Im gleichen Atemzug kündigte Vučić eine veränderte Taktik gegen die Proteste an: »Wir werden bestimmte Maßnahmen anders umsetzen. Manche Dinge werden zunächst sichtbar sein, andere anfangs weniger, aber die Ergebnisse werden deutlich sein.« Das ist als Drohung an die Demonstranten zu verstehen.
Zugleich versucht die liberale Opposition im Land, die Europäische Union, der Serbien beitreten will, gegen Vučić in Stellung zu bringen. In einem am Mittwoch veröffentlichten offenen Brief an EU-Offizielle, darunter Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, fordern die Grün-Linke-Front und die Bewegung Freier Bürger, die EU müsse dringend auf die Ereignisse in Serbien reagieren, nämlich die Polizeigewalt verurteilen, Sanktionen wie Reiseverbote verhängen sowie Vermögenswerte serbischer Politiker wie Vučić einfrieren.
Solche hilflosen Appelle an Brüssel sind Wasser auf die Mühlen der SNS, die in den Protesten einen von außen gesteuerten Versuch eines Regierungswechsels ausmacht. Das betonte auch der russische Botschafter in Serbien, Alexander Botsan-Chartschenko, gegenüber dem Fernsehsender Russia 24, wie serbische Medien berichten: Die Lage in Serbien sei weiterhin unter Kontrolle der Behörden, habe aber den Charakter einer »Farbenrevolution« angenommen. Als Grund nannte er, »dass die Brüsseler Institutionen mit Vučić unzufrieden sind«.
Bislang hat sich von der Leyen allerdings nicht zu den Geschehnissen in Serbien geäußert. Wohl auch, weil es Vučić war, in dessen Amtszeit das serbische Militär die bisher meisten gemeinsamen Übungen mit der NATO abgehalten hat, und der das Lithium des Landes an die deutsche Autoindustrie verkauft hat. Außerdem liefert Serbien – zum Missfallen Moskaus – weiterhin Waffen an die Ukraine. Auch Israel wird von Serbien aufgerüstet. Jüngst wurde zudem bekannt, dass Belgrad einen 1,65 Milliarden US-Dollar umfassenden Deal mit dem israelischen Drohnenhersteller Elbit Systems abgeschlossen hat.
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