Protest auf allen Seiten
Von Wiebke Diehl
Israel will nicht nur den Gazastreifen komplett einnehmen, sondern auch die Flüchtlingslager im Westjordanland mindestens bis Jahresende besetzt halten, wie Verteidigungsminister Israel Katz am Sonntag auf X schrieb. Bei den entsprechenden Vierteln in den Städten Dschenin, Tulkarem und Nur Al-Schams habe es sich nach seinen Worten um »Brutstätten des Terrors« gehandelt. Bis die israelische Armee schließlich im Januar einen großangelegten, von der UNO und auch der EU kritisierten Militäreinsatz gegen die Lager begann – mit zahlreichen Toten, Zehntausenden Vertriebenen und großflächiger Zerstörung. Katz behauptet nun, die Zahl der »Terrorwarnungen« im Westjordanland sei seither um 80 Prozent gesunken.
Derweil wächst in Israel der Protest gegen die Verschärfung des Gazakriegs. So stürmten Friedensaktivisten am Sonnabend eine »Big Brother«-Livesendung im Fernsehen und forderten ein Ende des Gazakriegs. Solange die israelische Regierung »den Vernichtungs- und Aushungerungsfeldzug in Gaza im Namen eines messianischen Traums von Eroberung und Besiedlung« fortsetze, könne »man nicht zur Tagesordnung übergehen«. In Tel Aviv und anderen Städten demonstrierten Zehntausende Menschen und forderten, dass endlich ein Deal ausgehandelt werde.
Das Forum der Geiselangehörigen erklärte, eine Einnahme Gaza-Stadts bedeute das Todesurteil für die noch etwa 20 lebenden israelischen Gefangenen der Hamas. Redner forderten die Soldaten dazu auf, sich nicht an der Ausweitung des Kriegs zu beteiligen. Die Opposition sowie Vertreter aus Wirtschaft, Gewerkschaften und Wissenschaft riefen sie auf, das Land lahmzulegen, um die Regierung zum Aushandeln eines umfassenden Abkommens zur Beendigung des Kriegs zu zwingen. Wie die US-amerikanischen bzw. israelischen Portale Axios und Ynet berichten, wollen die USA, Katar und Ägypten einen neuen Vorschlag für ein Abkommen erarbeiten. Am Sonntag nachmittag sollte der UN-Sicherheitsrat zu einer Dringlichkeitssitzung zusammenkommen, um sich mit Israels Plan einer Intensivierung des Kriegs zu befassen.
Auch im Libanon standen die Zeichen am Wochenende weiter auf Eskalation. Unter neuerlicher Verletzung des im November in Kraft getretenen Waffenstillstandsabkommens wurde am Sonnabend bei einem israelischen Drohnenangriff ein Hisbollah-Mitglied getötet. Am selben Tag starben zudem sechs Soldaten der libanesischen Armee bei einer Explosion, als sie ein Waffendepot nahe der israelischen Grenze inspizierten. Nach Angaben aus Militärkreisen handelte es sich um eine Militäreinrichtung der Hisbollah.
Zudem kommt es täglich zu Protesten, nachdem sich die Regierung in Beirut vergangene Woche einem US-Plan, die Hisbollah bis Ende des Jahres zu entwaffnen, unterworfen hat. Am Freitag abend wurden bei einer Straßenblockade mehrere Demonstranten festgenommen. Insbesondere unter den Schiiten, aber auch bei Angehörigen anderer Glaubensgemeinschaften genießt die Hisbollah hohes Ansehen. Sie gilt als einzige Kraft, die israelischen Angriffen etwas entgegensetzen kann, und ihr wird zugeschrieben, den Abzug der israelischen Streitkräfte aus einem Großteil Libanons im Jahr 2000 erzwungen zu haben. Außerdem hielt sie Israel 2006 in einem 33tägigen Krieg stand.
Gegenüber dem Fernsehsender Al-Manar sagte Mohammed Raad, Vorsitzender der Hisbollah-Fraktion im libanesischen Parlament, die Entscheidung der Regierung zur Entwaffnung der »Partei Gottes« sei hochgefährlich. Ihre Waffen hätten den Libanon in den vergangenen gut 40 Jahren beschützt. »Die Abgabe der Waffen ist Selbstmord«, so Raad. Der Vizechef des politischen Rats der Hisbollah, Mahmud Kmati, kritisierte am Freitag abend gegenüber dem Sender Al-Dschasira, die Regierung unterwerfe sich der Entscheidung der USA. Der Beschluss sei nicht durchsetzbar und werde deshalb »in der Luft hängenbleiben«. Ali-Akbar Welajati, der außenpolitische Berater des obersten iranischen Führers Ajatollah Ali Khamenei, nannte die geplante Entwaffnung der Hisbollah eine Verschwörung der USA und Israels, die scheitern werde: »Das ist ein Traum der USA, der niemals wahr werden wird.«
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