Wiedergutmachung historischer Schuld
Von Thorben Austen, Quetzaltenango
Guatemalas sozialdemokratischer Präsident Bernardo Arévalo hat anlässlich des am Sonnabend begangenen »Tages der indigenen Völker« dem Parlament einen Gesetzentwurf zu Investitionen in indigenen Gebieten vorgelegt. Im Kern sieht die geplante Reform vor, dass öffentliche Investitionen auf indigenem Land getätigt werden können, ohne dass dies wie bisher automatisch an den Staat fällt. Entsprechend erklärte Arévalo am Donnerstag auf einer Pressekonferenz, die Initiative ziele darauf ab, die Möglichkeit zu fördern, Schulen, Krankenhäuser, Gesundheitszentren, Gemeindehallen und andere Infrastrukturprojekte auf indigenem Land zu bauen.
Vertreter indigener Autoritäten, die auf der Pressekonferenz anwesend waren, unterstützten den Gesetzentwurf. Eine indigene Bürgermeisterin erklärte, dass die bisherige Gesetzeslage öffentliche Bauvorhaben auf nicht als staatlich registriertem Land verbiete. Diese Einschränkung werde immer wieder als Rechtfertigung genutzt, indigene Völker zu enteignen, indem ihre Gebiete unter dem Vorwand der Durchführung von Strukturprojekten aufgeteilt würden – ansonsten bleibe ihnen der Zugang zu Entwicklung verwehrt. Arévalo sagte auf der Pressekonferenz, seine Regierung wisse um die »historische Schuld« gegenüber den indigenen Völkern. Erwartet werden könne aber nicht, dass die »Folgen von 500 Jahren in einer Legislaturperiode behoben werden können. Rassismus und Diskriminierung sind enorme Probleme im Land, die das Leben und Zusammenleben konkret beeinflussen.«
Guatemala investiert wenig in Bildung und Gesundheit. 2023 gab das Land nach Zahlen von UNICEF nur 1,5 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Gesundheit aus, der Durchschnitt in Mittelamerika lag bei 2,8 Prozent. Für Bildung waren es 2023 3,1 Prozent des BIP, das Nachbarland Honduras investierte im gleichen Zeitraum 6,4 Prozent. Immer wieder wird zudem kritisiert, dass in die indigen geprägten Departamentos noch weniger investiert wird als in die Hauptstadtregion und die überwiegend von sogenannten Mestizen bewohnten Landesteile. Im aktuellen Haushalt seien daher die Investitionen für Bildung und Gesundheit um 26 Prozent gegenüber dem letzten Haushalt der Vorgängerregierung erhöht worden, dies soll in erster Linie der indigenen Bevölkerung zugute kommen, hieß es in einer Mitteilung des Finanzministeriums vom April dieses Jahres.
Die indigene Bevölkerung in Guatemala leidet nicht nur darunter, dass Investitionen ausbleiben, sondern auch unter dem geringen Zugang zu fruchtbarem Land. Historisch ist die indigene Bevölkerung aus fruchtbaren Tieflandregionen vertrieben worden oder aus Angst vor Zwangsarbeit auf den Fincas in die Berge geflohen, erklärte Eduardo Vital, Professor der staatlichen San-Carlos-Universität in Quetzaltenango, gegenüber jW. Zwar haben indigene Landtitel den Bürgerkrieg und die Enteignungen von Gemeindeland während der liberalen Reformen überstanden. Seit einigen Jahren ist indigenes Land aber zunehmend durch Bergbauunternehmen und Megaprojekte bedroht, sagte Vital.
Diese Konflikte um Land gehen auch unter der Regierung Arévalo weiter. Zuletzt hatten zehn Gemeinden im Nordosten des Landes gegen drohende neue zehn Bergbaulizenzen protestiert. Mitte Juni wurde dabei der Journalist Raimundo Amador bei einem Polizeieinsatz schwer verletzt. Letztlich war der Widerstand in diesem Fall aber erfolgreich. Ende Juli kündigte das Ministerium für Umwelt und natürliche Ressourcen an, die neuen Lizenzen nicht zu vergeben.
Am 29. Juli forderten die Konflikte um Land allerdings wieder einmal Menschenleben. Bei der versuchten Räumung der Gemeinde Santa Rosalía de Mármol im Departamento Zacapa, ebenfalls im Nordosten Guatemalas, starben drei Menschen: zwei Dorfbewohner und ein Polizist. Bei dem Konflikt geht es um Land, welches für das Wasserkraftwerk Hidroelétrica Pasabién beansprucht wird.
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