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Aus: Ausgabe vom 11.08.2025, Seite 6 / Ausland
Südasien

Indiens gestohlene Wahl

Oppositionsführer Gandhi wirft Aufsichtsbehörde Manipulation zugunsten der regierenden Hindunationalisten vor
Von Thomas Berger
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Ein Politiker wie Narendra Modi lässt keine Gelegenheit zum eigenen Machterhalt aus (Neu-Delhi, 5.8.2025)

Am Sonntag hat Narendra Modi mit weiteren Ehrengästen feierlich eine neue Metrolinie in der Achtmillionenmetropole Bengaluru (Bangalore) eingeweiht. Reichlich ein Jahr ist es her, seit Indiens Premierminister, noch immer wichtigstes Aushängeschild der hindunationalistischen Indischen Volkspartei (BJP), seine nunmehr dritte Amtszeit angetreten hat. Allerdings gerechtfertigt? Von einer »gestohlenen Wahl« im April und Mai vergangenen Jahres hatte unweit der Stelle des sonntäglichen Festaktes, ebenfalls in Bengaluru, am Donnerstag Rahul Gandhi gesprochen und damit einen schwerwiegenden Vorwurf insbesondere gegenüber der formal unabhängigen nationalen Wahlkommission (Election Commission of India, ECI) erhoben. Diese habe mit diversen Manipulationen den erneuten, diesmal deutlich knapperen Wahlsieg der BJP möglich gemacht. Die ECI hat Gandhi seither zweimal aufgefordert, konkrete Beweise für die Behauptung vorzulegen, und den Vorwurf gravierender Ungereimtheiten zurückgewiesen.

Gandhi ist der namhafteste Politiker aus den Reihen der äußerst heterogenen politischen Opposition im bevölkerungsreichsten Staat der Erde. Sein Urgroßvater Jawaharlal Nehru, zweitwichtigster Kopf der Unabhängigkeitsbewegung, hatte Indiens Regierungsgeschäfte als erster Premier von 1947 bis zu seinem Tod 1964 geführt. Rahuls Großmutter Indira Gandhi übernahm 1966 und war mit einer kurzen Unterbrechung bis zu ihrer Ermordung 1984 im Amt. Nachfolger wurde ihr Sohn Rajiv, Rahuls Vater, der später einem Attentat der tamilischen Rebellenorganisation LTTE aus Sri Lanka zum Opfer fiel. Rahul Gandhi, zwischenzeitlich Vorsitzender der Kongresspartei (INC) und noch immer Oppositionsführer, war Modi am Ende mehrfach im Rennen um das wichtigste politische Amt unterlegen.

Nach der bisher größten Wahlschlappe des oppositionellen, vor allem aus linken und liberalen Kräften sowie diversen einflussreichen Regionalparteien bestehenden Lagers 2019 hatte der neue INDIA-Block im Vorjahr gleichwohl viel Boden gutmachen können. Für einen Machtwechsel in Delhi reichten die Zugewinne zwar nicht. Aber die ohnehin in einer Koalition mit kleineren Partnern in der NDA-Allianz regierende BJP hat plötzlich keine eigene Mehrheit mehr in der Lok Sabha, dem Unterhaus des Zweikammerparlaments. Als Unterstützerin mit gesteigertem Einfluss ist sie nun vor allem auf zwei größere Regionalparteien mit Schwerpunkt in Bihar im zentralen Norden und Andhra Pradesh im Südosten des Landes angewiesen, die 16 bzw. zwölf der 543 Abgeordneten stellen – die BJP selbst hat nur noch 240 Sitze.

Die Innenstadt des vor allem als Zentrum der IT-Branche bekannten Bengaluru ist eines der von Rahul Gandhi angeführten Beispiele, wo es Manipulationen gegeben haben soll. Der siegreiche Kandidat der BJP im dortigen Lok-Sabha-Wahlkreis habe nur gewonnen, weil rund 125.000 manipulierte Stimmen in einem Wahlkreissegment für ihn beschafft worden seien. In den anderen Segmenten lag der INC-Bewerber vorn, der BJP-Sieger hatte am Ende rund 37.000 Stimmen insgesamt Vorsprung. Bei einer Großveranstaltung seiner Partei in der Metropole hatte Gandhi seinen Vorwurf erstmals erhoben und am Freitag nachgelegt: »Denkt zweimal nach, bevor ihr die Verfassung angreift. Wir werden euch kriegen, jeden einzelnen. Auch wenn es Zeit braucht, wir werden euch kriegen«, zitierte ihn etwa NDTV mit seiner Warnung in Richtung der ECI-Mitglieder.

Die Kommission hatte sich noch am selben Tag gegenüber der Nachrichtenagentur ANI gegen die Vorwürfe verwahrt. Besonders umfangreich ging das Newsportal India Today auf die Reaktion der ECI ein, die dem INC haltlose Anschuldigungen vorhielt. Schon 2019, als das namhafte INC-Mitglied Kamal Nath sogar den Supreme Court mit einer Klage in Sachen Wahlmanipulation bemüht hatte, hätten die Obersten Richter dies als nicht stichhaltig abgewiesen, hieß es. Gandhi bleibt jedoch dabei, verschiedentlich seien unter anderem Wählerlisten manipuliert worden. Inzwischen haben sich auch noch weitere Parteien der INDIA-Allianz offiziell hinter die Vorwürfe gestellt.

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